Staatsfinanzierung der Europäischen Zentralbank vor dem Europäischen Gerichtshof

Die Verfassungsbeschwerde gegen die Flüchtlingspolitik, die ohne Begründung vom Bundesverfassungsgericht nicht zur Entscheidung angenommen worden ist, findet sich unter Downloads.

Staatsfinanzierung der Europäischen Zentralbank vor dem Europäischen Gerichtshof

Der Europäische Gerichtshof hat am Dienstag, den 14. Oktober 2014, in Luxemburg im Vorabentscheidungsverfahren zum OMT-Beschluß der EZB, C – 62/14, im Verfassungsbeschwerdeverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht 2 BvR 2729/13, das ich mit den Professoren Dres. Wilhelm Hankel, Wilhelm Nölling und Joachim Starbatty sowie Dr. Bruno Bandulet (außer anderen Beschwerdeführern) angestrengt habe und vor den Gerichten vertrete, mündlich verhandelt.

Alle Verfahrensbeteiligten, die Organe der Europäischen Union, Kommission, Parlament und insbesondere die Zentralbank selbst, die anderen 10 Staaten, die mitgewirkt haben, und auch die deutsche Bundesregierung haben sich dafür ausgesprochen, daß diese Maßnahme der Europäischen Zentralbank (EZB) mit ihren Aufgaben und Befugnissen vereinbar seien. Die fünf Gruppen der Beschwerdeführer haben in ihren Voten, wie schon durch ihre vorgängigen Schriftsätze, die Kritik des Bundesverfassungsgerichts unterstützt. Es geht um die Vereinbarkeit des OMT-Beschlusses vom 6. September 2012 der EZB, der zugesagt hat, Staatsanleihen der Länder, die sich unter einen der „Rettungsschirme“ EFSF oder ESM begeben haben, ohne mengenmäßige und zeitliche Begrenzung am Sekundärmarkt anzukaufen, wenn dies erforderlich erscheint, um den Bestand des Euro zu erhalten. „Whatever it takes“ hatte Mario Draghi in seiner wegweisenden Londoner Rede am 27. Juli 2012 verkündet. Diese Rede und der OMT-Beschluß haben bekanntlich die Kreditmärkte beruhigt und den in Bedrängnis geratenen Euroländern Zinssätze am Kreditmarkt geschaffen, die nicht wesentlich von den Zinsen, die Deutschland aufzubringen hat, abweichen. Draghis Maßnahme war ein voller Erfolg, aber wohl nur auf kurze oder mittelfristige Sicht. Die langfristigen Wirkungen dieser Politik, zu der auch die stetigen Käufe von Staatsanleihen auf dem Sekundärmarkt, die krasse Absenkung der Standards für die Besicherung der Kredite (Kauf von gebündelten Schrottpapieren) und vor allem das TARGET 2- System gehören, sind schwer abzuschätzen. Eine Theorie dafür hat noch niemand zu unterbreiten vermocht. Die Lage ist neu und neue Lagen zu theoretisieren gelingt den Volkswirten selten oder nie.

Die Beschwerdeführer vertreten, daß mit dem OMT-Beschluß entgegen den Verträgen der Union verbotene Staatsfinanzierung zugesagt worden sei, die zur Wirtschaftspolitik, nicht aber zur Währungspolitik gehöre. Die EZB reklamiert aber, daß sie damit Geldpolitik betreibe, nämlich den gestörten „Transmissionsmechanismus“ wiederherstelle, von dem die Wirkung der ihrer Maßnahmen abhänge. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Vorlagebeschluß vom 14. Januar 2014 erklärt, daß die Verfassungsbeschwerden gegen den OMT-Beschluß „voraussichtlich begründet“ seien, aber dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) verfahrensgeboten Gelegenheit gegeben, die unionsrechtliche Frage der Befugnisüberschreitung zu klären und, wenn möglich, den Beschluß derart einschränkend auszulegen, daß er mit dem währungspolitischen Mandat der EZB vereinbar sei. Dann allerdings verliert er nach fast allgemeiner Einschätzung seine ökonomische Wirksamkeit. Wenn der EuGH den Beschluß aufrechterhält, wie das die Organe der Union und die beteiligten Staaten dringend anmahnen, ist der große Zusammenstoß der beiden Höchstgerichte zu erwarten, nämlich der Streit um das letzte Wort in Sachen des Rechts in den immer noch souveränen Staaten oder eben um den uneingeschränkten Vorrang des Unionsrechts auch vor den nationalen Verfassungen. Ich streite dafür, daß in Deutschland das deutsche Verfassungsgericht das letzte Wort hat und der Vorrang allenfalls den menschheitlichen Verfassungsprinzipien nachrangig ist. Bisher habe ich das Bundesverfassungsgericht davon überzeugt, bereits in dem weichenstellenden Masstricht-Urteil vom 12. Oktober 1993.

Am 14. Januar 2015 wird der Generalanwalt beim EuGH sein Votum unterbreiten, dem der EuGH zu folgen pflegt. Der EuGH selbst wird voraussichtlich im nächsten Herbst entscheiden. Dann folgt das Schlußurteil des Bundesverfassungsgerichts, vielleicht ein halbes Jahr später. Dann sind seit dem OMT-Beschluß der EZB fast vier Jahre vergangen, in denen er für den Euro „Zeit gewonnen“ hat. Es ist nicht leicht, das Recht zu verteidigen. Wer handeln kann, hat das Heft in der Hand. Das ist nun einmal die Exekutive.

Mein Votum, das nicht länger als zehn Minuten dauern durfte, gebe ich im Folgenden zur Kenntnis:

  1. Währungs- und Wirtschaftspolitik oder spezifischer Geld-, Fiskal- und Finanzstabilitätspolitik bilden eine finanzpolitische Einheit. Alle Maßnahmen der Geldpolitik haben fiskalpolitische und finanzstabilitätspolitische Wirkungen und umgekehrt alle fiskalpolitischen und finanzstabilitätspolitischen geldpolitische. Jede Währungspolitik ist zugleich Wirtschaftspolitik, jede Wirtschaftspolitik beeinflußt die Währung eines Landes oder Währungsraums. Dennoch können und müssen die Politiken unterschieden werden. Die unterschiedlichen Zuständigkeiten und Verfahren zwingen dazu. Das Europäische System der Zentralbanken (ESZB) und die Europäische Zentralbank (EZB) sind nur zur Währungspolitik befugt (Art. 282 Abs. 1 S. 2 AEUV, Art. 3 Abs. 1 lit c AEUV).
  1. Das Ziel des ESZB und damit der Währungspolitik ist es, „die Preisstabilität zu gewährleisten“. Nur „soweit dies ohne Beeinträchtigung des Zieles der Preisstabilität möglich ist, unterstützt das ESZB die allgemeine Wirtschaftspolitik in der Union, um zur Verwirklichung der in Artikel 3 EUV festgelegten Ziele der Union beizutragen“ (Art. 127 Abs. 1 S. 1 und 2 AEUV). Zu den „grundlegenden Aufgaben des ESZB“ gehört es, die „Geldpolitik der Union festzulegen und auszuführen“ (Art. 127 Abs. 2 1. Teilstrich AEUV). Die „Wirtschaftspolitik“ der Mitgliedstaaten „koordiniert“ der Rat in Zusammenarbeit mit der Kommission. Sie ist somit vornehmlich Sache der Mitgliedstaaten. Art. 119 AEUV unterscheidet in den Absätzen 1 und 2 die „Wirtschaftspolitik“ und das „Verfahren einer einheitlichen Währung, des Euro, sowie die Festlegung und Durchführung einer einheitlichen Geld- sowie Wechselkurspolitik“.
  1. Die finanzpolitische Einheit der Wirtschafts- und Währungsunion erweist Art. 136 Abs. 1 AEUV. Der Rat hat nach dieser Vorschrift die Aufgabe, „das reibungslose Funktionieren der Wirtschafts- und Währungsunion“ der Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist, zu gewährleisten, aber auch nur durch Maßnahmen „der Koordinierung und Überwachung der Haushaltsdisziplin“ und „Ausarbeitung von „Grundzügen der Wirtschaftspolitik“ und der „Überwachung ihrer Einhaltung“. Dabei geht es auch und wesentlich um den Transmissionsmechanismus der Geldpolitik, dessen Gewährleistung somit nicht in den Aufgabenbereich des ESZB und der EZB fällt.
  1. Nach Art. 136 Abs. 3 AEUV, der wegen des Europäischen Stabilitätsmechanismus eingeführt worden ist, „können die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist, einen Stabilitätsmechanismus einrichten, der aktiviert wird, wenn dies unabdingbar ist, um die Stabilität des Euro-Währungsgebiets insgesamt zu wahren. Die Gewährung aller erforderlichen Finanzhilfen im Rahmen des Mechanismus wird strengen Auflagen unterliegen.“ Die „Stabilität des Euro-Währungsgebietes“ ist danach nicht Sache des ESZB und der EZB, sondern Sache des besonderen Vertragswerkes des ESM. Demgemäß ist Zweck des ESM nach Art. 3 ESM-Vertrag „Finanzmittel zu mobilisieren und ESM-Mitgliedern, die schwerwiegende Finanzierungsprobleme haben oder denen solche Probleme drohen, unter strikten, dem gewählten Finanzhilfeinstrument angemessenen Auflagen eine Stabilitätshilfe bereitzustellen, wenn dies zur Wahrung der Finanzstabilität des Euro-Währungsgebiets insgesamt und seiner Mitgliedstaaten unabdingbar ist. Zu diesem Zweck ist der ESM berechtigt, Mittel aufzunehmen, indem er Finanzinstrumente begibt oder mit ESM-Mitgliedern, Finanzinstituten oder sonstigen Dritten finanzielle oder sonstige Vereinbarungen oder Übereinkünfte schließt“. Diese Vertragsregelungen stellen klar, daß die Finanzstabilität des Euro-Währungsgebietes und damit die Transmissionsfähigkeit desselben für die geldpolitischen Maßnahmen der EZB nicht Aufgabe des ESZB und der EZB ist. Art. 136 Abs. 3 AEUV und der ESM mit seinen schwierigen Verfahren und materiellen Belastungsgrenzen wären nicht vereinbart worden, wenn das ESZB und die EZB die Finanzstabilität auf Grund ihrer währungspolitischen Befugnisse und zudem in aller Unabhängigkeit zumal von parlamentarischen Hürden herzustellen befugt wären. Finanzhilfen gehören unbestritten zur Wirtschaftspolitik. Das Argument, ESZB und EZB seien befugt, im Interesse der Transmissionsfähigkeit ihrer Geldpolitik Eingriffe in den Kreditmarkt durch den Kauf von Staatsanleihen vorzunehmen, ist damit vertragswidrig. Transmissionsfähigkeit und Finanzstabilität sind Gegebenheiten eines optimalen oder hinreichenden Währungsraums, der Voraussetzung der einheitlichen Währungspolitik, nicht aber Aufgabe von ESZB und EZB ist.
  1. Der Währungsunion fehlten von vornherein die „notwendigen Voraussetzungen“, nämlich die vertragsgerechte große Konvergenz als der hinreichend homogene Wirtschaftsraum, den Art. 109 j Abs. 2 bis 4 EGV in der Fassung des Vertrages von Maastricht gefordert hat, und die kleine Konvergenz der Konvergenzkriterien des Art. 109 j Abs. 1 EGV damaliger Fassung. Nur die Einheit eines Wirtschafts- und Sozialraums, die hinreichende Gleichheit der Lebensverhältnisse eines Lebensraumes läßt eine Währungseinheit zu, wenn man so will, die politische Union. Dies bestand bei der Einführung des Euro nicht und sie besteht jetzt nicht. Die Währungsunion war zum Scheitern verurteilt und ist gescheitert. Es ist nicht Aufgabe, geschweige denn Befugnis von ESZB und EZB, die notwendigen Voraussetzungen einer einheitlichen Währungspolitik durch eine Staatsfinanzierung nachzureichen, die sie als Geldpolitik deklariert, um sich die Befugnis zu ihren Maßnahmen zusprechen zu können. Ihre Finanzstabilisierungspolitik greift tief in die nationalen Befugnisse und tief in das demokratische Gefüge der Mitgliedstaaten ein. Sie ist ein vertragswidriger Übergriff in die Souveränität der Mitgliedstaaten. Der Euro ist nicht irreversibel. Er muß eine Stabilitätsgemeinschaft sein, in der ESZB und EZB ihre Geldpolitik entfalten. Die Ordnung der Wirtschaftspolitik der Gründungsverträge ist bemüht, deren Koordinierung so zu gestalten, daß die Souveränität und Identität gerade noch gewahrt bleiben. Die Wirtschaftspolitik kann nicht von der Sozialpolitik getrennt werden und ist schon deswegen strikt dem demokratischen Prinzip verpflichtet. Wirtschaftspolitische Aufgaben und Befugnisse kommen schon deswegen für die nicht demokratisch legitimierte EZB nicht in Betracht. Eine Ausdehnung der Währungs- oder Geldpolitik in den Bereich der Wirtschaftspolitik, in Politikbereiche der Mitgliedstaaten oder anderer Organe der Union, die vom Bundesverfassungsgericht kritisierte Parallelität, ist schon aus demokratierechtlichen Gründen vertragswidrig.
  1. Der Erwerb von Schuldtiteln der öffentlichen Hände, vor allem also von Staatsanleihen, ist der EZB und den nationalen Zentralbanken verboten, unmittelbar explizit durch Art. 123 Abs. 1 AEUV, mittelbar implizit, wenn der mittelbare Erwerb der Staatsfinanzierung dient, obwohl dies währungs- und geldpolitisch bedeutsame Maßnahmen sind. Im Rahmen der Offenmarktpolitik gehört der Erwerb von Staatsanleihen nur zu den Befugnissen von ESZB und EZB, wenn er keine Staatsfinanzierung betreibt. Die Vermutung auch des mittelbaren Erwerbs von Staatsanleihen spricht für dessen Zweck, den emittierenden Staat zu finanzieren, jedenfalls wenn Kredite von Zentralbanken im Staatshaushalt verwendet werden. Das ist der erklärte Zweck des OMT-Programms, weil anders der Transmissionsmechanismus nicht entstört werden kann. Zum Zwecke der Staatsfinanzierung kauft das ESZB stetig Staatsanleihen am Sekundärmarkt und die Staatsschulden der begünstigten Staaten wachsen demgemäß. Diese Käufe sind genausowenig spezifische Maßnahmen zur Stabilisierung des Preisniveaus wie die im OMT-Beschluß zugesagten Maßnahmen, überschreiten also die Befugnisse des ESZB und der EZB.
  1. Das Bundesverfassungsgericht hat die Kriterien dargelegt, die es erlauben, ein restringiertes OMT-Programm als vertragsgemäß zu akzeptieren. Die Maßnahmen dürfen nicht konditioniert, nicht selektiert, nicht parallelisiert sein und dürfen nicht die Hilfsprogramme des EFSF und des ESM umgehen. Es ist schwer erkennbar, wie die Maßnahmen dann noch den Transmissionsmechanismus entstören können sollen. Der mittelbare Erwerb von Staatsanleihen könne als Geldpolitik und nicht als verbotene Staatsfinanzierung hingenommen werden, wenn er im Volumen beschränkt sei, nicht die Marktpreisbildung determiniere, nicht in die Marktlogik eingreife und auf Grund der Bonität der Anleihen das Ausfallrisiko minimiere. Das sind hilfreiche Kriterien, um die Verbotsgrenze zu bestimmen, wenn auch die Handhabung und die Kontrolle derselben auf erhebliche Schwierigkeiten stoßen dürften. Der Mißbrauch liegt nahe. All die Unzuträglichkeiten gäbe es in einem tragfähigen Währungsraum nicht. Der einheitlichen Währung mangelt es an der elementaren Voraussetzung. Sie ist im Rahmen der Verträge nicht zu retten. Die Vertragsverletzungen aber sind nicht hinnehmbar und lassen im übrigen nicht erwarten, die Währung zu stabilisieren.
  1. Die Überwachung der Haushaltsdisziplin der Mitgliedstaaten ist in Art. 126 AEUV geregelt und kann nach Art. 136 Abs. 1 AEUV für die Euroländer verstärkt werden.

Mit der Konditionalität ihrer Maßnahmen in Anlehnung an die Memoranda of Understanding der Hilfsmaßnahmen des EFSF und des ESM aber maßt sich die EZB Regierungsbefugnisse an. Derartige sogar mit Sanktionen, nämlich der Verweigerung der monetären Staatsfinanzierung, verbundene Überwachungsbefugnisse hat nicht einmal im Bundestaat Deutschland die Bundesregierung. Das erinnert an die Reichsaufsicht der Bismarckschen Reichsverfassung. Die EZB aber hat keinerlei demokratische Legitimation. Nur ausnahmsweise ist ihr die Währungspolitik übertragen. Sie darf diese Aufgabe nicht zu einer staatslenkenden Macht ohne Legitimation und ohne Kontrolle ausbauen. Sie ist nicht der Souverän eines vermeintlichen Ausnahmezustandes. Das Unrecht des Euro bedarf anderer Gegenmittel.