Persönlichkeitsschutz im WWW

Das World Wide Web ist nicht nur eine Einrichtung schneller, weltweiter und weitgehend kostenloser, hilfreicher oder auch irreführender Information, grenzenlosen, aber auch entgrenzten Diskurses und fachlicher oder sozialer wie banaler Kommunikation. Es ist auch ein Platz der Beleidigung, üblen Nachrede und Verleumdung. Einträge aus fernen Ländern, die keine Pflicht zum Impressum kennen, und nicht identifizierbarer Autoren machen das WWW zum rufmordenden Pranger.

Der Rechtsschutz der Persönlichkeit im WWW ist unterentwickelt, obwohl die Persönlichkeit des Menschen höchsten Rang in der Werteordnung des Rechts hat. Sie ist durch das Grundrecht des Rechts auf freie Entfaltung der Persönlichkeit aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit der Unantastbarkeit der Menschenwürde geschützt. Dieses Fundamentalprinzip der Verfassung begründet nach Satz 2 des Art. 1 Abs. 1 GG die „Verpflichtung aller staatlichen Gewalt, es zu achten und zu schützen“. Die Menschwürde darf nicht um irgendeiner Politik willen gegen andere Verfassungsprinzipien abgewogen werden. Dennoch ist der Rechtsschutz der Persönlichkeit unzulänglich, jedenfalls im WWW, im übrigen auch, wenn auch nicht im gleichen Maße, gegenüber den sonstigen Medien. Die gesetzliche Ausgestaltung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung, welches das Bundesverfassungsgericht aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht abgeleitet hat, leistet den effektiven Schutz der Persönlichkeit nicht.

Den Schutz gegen unzulässige Nutzung personenbezogener Daten zu öffentlichen und privaten Zwecken will ich hier nicht darlegen, sondern mich auf den Schutz der Persönlichkeitsrechte gegen deren Verletzungen im WWW beschränken. Er hat eine besondere Regelung in § 35 Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) gefunden, aber auch die allgemeinen Vorschriften des bürgerlichrechtlichen Deliktsrechts (§§ 823 Abs. 1 und 2, 824, 826, 1004 BGB) und des Strafrechts (§§ 185 ff. StGB) finden auf Persönlichkeitsverletzungen Anwendung. Das Deliktsrecht gibt Schadensersatz-, Widerrufs- und Unterlassungsansprüche gegen den Schädiger oder Störer, aber nach § 253 BGB auch einen Anspruch auf immateriellen Schadenersatz (Schmerzensgeld). Der Strafanspruch muß, wenn nicht ein besonderes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung besteht, im Privatklageverfahren gegen den Täter durchgesetzt werden. § 35 BDSG begründet je nach den verschiedenen Tatbeständen Berichtigungs-, Sperrungs- und Löschungsansprüche gegen die „verantwortliche Stelle“, deren Beweislastregelungen differenziert sind.

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) läßt keinen Zweifel an der Verantwortlichkeit von Suchmaschinenbetreibern für die von ihnen verarbeiteten und verbreiteten personenbezogenen Daten. Google, Bing, Yahoo und andere Suchmaschinenbetreiber können verpflichtet werden, Links zu persönlichen Daten aus der Ergebnisliste zu löschen. Das Urteil des EuGH vom 13. Mai 2014 (Rechtssache C-131/12) stärkt die Grundrechte auf Achtung des Privatlebens und den Schutz personenbezogener Daten und führt ein gewisses „Recht auf Vergessen“ ein.

All diese Ansprüche sind unzureichend, um sich gegen die Persönlichkeitsverletzung im WWW wirksam wehren zu können, vor allem weil sie repressiv sind. Sie können nämlich nur in einem Gerichtsverfahren durchgesetzt werden. Das Gerichtsverfahren dauert lange, selbst Eilentscheidungen kommen für gewöhnlich zu spät, um den Schaden zu verhindern oder auch nur zu mindern. Das Internet ist zu schnell. In kürzester Zeit ist der verletzende Eintrag weltweit verbreitet, gegebenenfalls auf vielen Festplatten der Nutzer, und kann jederzeit erneut verbreitet werden. Die Suchmaschinen lassen die Verbreitung explodieren. Vor allem Diffamierung, Verhetzung, Rufmord werden bevorzugt aufgegriffen und vielfach auch aus politischen Gründen weit und schnell gestreut.

Der Rechtsschutz genügt in keiner Weise dem rechtsstaatlich gebotenen effektiven Schutz der Grundrechte, zumal des menschenwürderangigen Persönlichkeitsrechts. Er kommt regelmäßig zu spät. Es müssen wirksame Instrumente geschaffen werden, wenn der Staat seiner Schutzpflicht gerecht werden will.

Wer im WWW in seiner Persönlichkeit angegriffen wird, befindet sich in einer klassischen Notwehrlage. Ihm steht das Recht zu, selbst den „gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich abzuwehren“. So formuliert das § 227 BGB. Grund des menschheitlichen Notwehrprinzips ist, daß der staatliche Rechtsschutz nicht hilft, weil er aus der Natur der Sache nicht rechtzeitig sein kann. Das sogenannte staatliche Gewaltmonopol muß sich deswegen Einschränkungen gefallen lassen. Persönlichkeitsverletzungen sind schwere Rechtsverletzungen. Aber gegen Einträge im WWW kann man sich nicht selbst wehren, solange man keine technische Handhabe hat. Diese muß aus Verfassungsgründen geschaffen werden. Ich werde unten Vorschläge unterbreiten.

Der Rechtsschutz der Persönlichkeit ist bislang nicht effektiv gestaltet, weil das Bundesverfassungsgericht die Persönlichkeitsrechte trotz ihres hohen Ranges zugunsten der Meinungsfreiheit relativiert. Auch dieser wird als Materialisierung der Menschenwürde und als konstitutionellem Prinzip der Demokratie höchster Rang zugemessen, durchaus zu Recht. Ohne geschützte Redefreiheit findet ein freiheitliches Gemeinwesen, eine Republik, die demokratisch sein muß, keine Wirklichkeit. Gerade deswegen werden ja die Bürger, die einen Beitrag leisten wollen, der nicht allen, zumal nicht der politischen Klasse, paßt, durch Angriffe auf ihre Ehre diszipliniert. Das Instrument ist die political correctness, der Moralismus, der die Redefreiheit in Deutschland wieder einmal knebelt. Die Meinungen werden durch Leitmedien gleichgeschaltet. Das erfolgreichste Mittel ist der Rufmord kritikfähiger Bürger, die es wagen, eigene und gar abweichende Meinungen zu äußern. Sie werden, wenn es milde ist, als populistisch, sonst aber als „rechts“, gar „rechtsextrem“, „rassistisch“, „nazistisch“ beschimpft, vielleicht auch einmal „linksextrem“, in Deutschland fast schon eine Belobigung. Das schüchtert ein. Dieser Moralismus vergiftet die politische Willensbildung des Volkes, die für die Demokratie essentiell ist.

Das Bundesverfassungsgericht praktiziert wegen eines gleichen Ranges des grundrechtlichen Persönlichkeitsschutzes und der Meinungsfreiheit eine Abwägung des gegenläufigen Grundrechtsschutzes, um Entscheidungen im Einzelfall zu treffen und zu begründen und schreibt das auch den Fachgerichten vor. Es macht das Gewicht der Meinungsfreiheit von dem Wahrheitsgehalt der Äußerung abhängig. Bewußten Unwahrheiten gibt es keinen Grundrechtsschutz. Den Medien räumt es wegen deren öffentlicher Aufgabe einen stärkeren Schutz der Meinungsäußerungsfreiheit ein, weil auch deren Fehlgriffe durch „berechtigte Interessen“ im Sinne des § 193 StGB gerechtfertigt und deswegen straflos seien, wenn sie nicht der Form nach beleidigen. Das hat in der Praxis die Medien von der Strafbarkeit der üblen Nachrede freigestellt. So müssen die Journalisten den Wahrheitsgehalt von Informationen nur mit journalistischer Sorgfalt (?!) prüfen. Der einzelne Bürger ist der Gewalt der Medien fast schutzlos ausgeliefert. Aber die Rechte gegenüber den herkömmlichen Medien erfüllen gegenüber der Schutzlosigkeit im WWW noch annähernd die staatliche Schutzpflicht.

Die Abwägungsdoktrin ist dogmatisch fragwürdig und führt jedenfalls im WWW zur Schutzlosigkeit. Art 5 Abs. 2 GG schreibt vor, daß die Kommunikationsgrundrechte „ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre finden“. Dieser Absatz formuliert trotz des Wortes „Schranken“ keine zur Verwirklichung anderer Grundrechte durch Gesetz oder Rechtsprechung relativierbare Schranken, also keinen Schrankenvorbehalt, sondern formuliert eine Grenze der Meinungsäußerungsfreiheiten. Das entspricht dem sprachlich richtigen Verständnis von „Diese Rechte finden ihre Schranken…“. Diese „Schranken“ müssen somit nicht erst von Gesetzgeber geschaffen werden. Es ist die uralte Schranke insbesondere der Ehre. „Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider Deinen Nächsten“. Es gibt kein Recht, eine Meinung wider die Ehre eines anderen Menschen zu äußern. Das verbietet seit eh und je dessen Würde. Gegen ein Grundrecht, das kein Recht zur Ehrverletzung schützt, kann logisch auch der Persönlichkeitsschutz nicht abwägend relativiert werden. Demgemäß muß dieser uneingeschränkt und effektiv verwirklicht werden.

Nur eine solche Lehre genügt dem Freiheitsbegriff des Grundgesetzes. Freiheit heißt nicht, alles tun zu dürfen, was einem beliebt, ist keine Freiheit zur Willkür, sondern tun zu dürfen, was anderen nicht schadet, das Recht zur freien Willkür. Freiheit ist das Recht zu Handeln, wenn das Handeln die Rechte anderer, der verfassungsmäßige Ordnung und das Sittengesetz achtet, wie Art. 2 Abs. 1 GG klarstellt. Die Handlungsgrenzen gehören zu Definition der Freiheit. Folglich gibt es keine Freiheit der Meinungsäußerung, die es erlauben würde, die Persönlichkeit anderer zu verletzen, die erst der Gesetzgeber einschränken müßte.

Die Meinungsäußerungsfreiheit schützt nicht etwa jede Art von Äußerung, nicht, wie das Gericht vertritt, das Äußern jedweder Wertungen, Meinungen, aber Tatsachenbehauptungen nur, wenn sie notwendig sind, um eine Meinung zu sagen. Was wäre wichtiger und schützenwerter als die Äußerung von Tatsachen? Diese interessieren. Meinungen bildet sich jeder gern allein. Das Grundrecht schützt den Beitrag zur Wahrheit und Richtigkeit, Wahrheit als Theorie der Wirklichkeit, Richtigkeit als Ethos, also das Recht und die Sittlichkeit. Nur ein solches Verständnis des Meinungsbegriffs wird der politischen Funktion des Grundrechts gerecht. Andere Handlungen mögen ihren Schutz in anderen Grundrechten finden, in den Religionsgrundrechten, in der allgemeinen Handlungsfreiheit usw. Eine so verstandene Meinungsäußerungsfreiheit kann schlechterdings nicht Beleidigungen, üble Nachrede und Verleumdungen schützen.

Es sei nur kurz angemerkt: Persönlichkeitsverletzungen sind Störungen der öffentlichen Sicherheit; denn sie sind Rechtsverletzungen. Die Polizei hat aber nicht die nötigen Handhaben, um diese Störungen abzuwehren. Vor allem fehlt es ihr an Personal. Um die Mittel dafür zu beschaffen, könnten die Geschäfte mittels des WWW, die von Google, Ebay, Amazon, Facebook usw. spezifisch besteuert werden.

Wie kann nun die unantastbare Persönlichkeit gegen Verletzungen im WWW geschützt werden? Nötig ist erstens ein Recht des Betroffenen, auf ihn bezogene Daten, wenn er deren Veröffentlichung nicht eigens zugestimmt hat, selbst zu sperren. Dafür müssen die Provider geeignete technische Vorhaltungen bereitstellen. Zweitens muß die Aufsichtsbehörde auf Antrag des Betroffenen personenbezogen Daten sperren, wenn diese geeignet sind, die Persönlichkeit zu verletzen. Drittens sind die verantwortlichen Stellen, insbesondere die Provider, strafbewehrt zu verpflichten, auf Aufforderung des Betroffenen hin, auf diesen bezogene Daten zu sperren. Viertens sind die Provider und die Aufsichtsbehörden zu verpflichten, jede Art von anonymen Einträgen zu löschen. Streitigkeiten um die Berechtigung der Sperrungen sind nachträglich vor den Gerichten auszutragen. Die bisher bestehenden Ansprüche insbesondere aus § 35 BDSG bleiben bestehen.

Derartige Rechte würden der Schutzpflicht des Staates zum Persönlichkeitsschutz gerecht werden. Sie sind somit Verfassungspflicht.