Rechtsschutz gegen CETA – ein Zwischenschritt

Gegen das Freihandelsabkommen der Europäischen Union (EU) mit Kanada (CETA) haben fast 200.000 Bürger Deutschlands in mehreren Gruppen Verfassungsbeschwerde erhoben. Ich bin Verfahrensbevollmächtigter des Europaabgeordneten Prof. Dr. rer. nat. Klaus Buchner, ÖDP.

1. Die Verletzung mehrerer Grundrechte, insbesondere des Rechts auf Demokratie aus Art. 38 Abs. 1 GG, durch die Mißachtung des Ultra-vires-Verbotes, also der Befugnisse der EU, und der Identität des Grundgesetzes, d. h. der Verfassungsprinzipien der Deutschen, die nach Art. 79 Abs. 3 und Art. 23 Abs. 1 GG nicht zur Disposition der Integrationspolitik der Staatsorgane Deutschlands stehen, habe ich in der Beschwerdeschrift dargelegt. Sie ist in meiner Homepage nachzulesen. Vor allem sind es der Investitionsschutz kanadischer Investoren gegen Enteignung und enteignungsgleiche Maßnahmen, seien diese legal oder illegal, durch ein vertraglich vereinbartes Investitionsgericht, dessen Anrufung den Rechtsschutz vor den nationalen Gerichten ausschließt, die Einrichtung eines gemischten CETA-Ausschusses oder CETA-Hauptausschusses, zu gleichen Teilen besetzt von der EU und von Kanada, der weitreichende für die EU und deren Mitgliedstaaten verbindliche Entscheidungen in vielen Lebensbereichen treffen können soll, die regulative Zusammenarbeit mit Angleichungsmaßnahmen des ebenfalls nicht demokratisch legalisierten Regulationsforums bis hin zur Anerkennung von Standards etwa im Lebensmittelbereich, die Nivellierung des Vorsorgeprinzips auf wissenschaftlich nachgewiesene Gefahren etwa genmanipulierter Nahrung für Menschen oder Tiere, die schlechterdings wegen deren Langzeitwirkungen nicht möglich ist, die weitere Unterwerfung sogenannter öffentlicher Unternehmen, das können nicht nur kommunale Versorgungsunternehmen sein, sondern auch Schulen und Hochschulen, unter Markt und Wettbewerb.

Die Kommission der EU hat dem Rat der EU vorgeschlagen, noch im Oktober diesen Jahres gemäß Art. 218 Abs. 5 AEUV die vorläufige Anwendbarkeit des Abkommens vor dessen Inkrafttreten, das, vorausgesetzt, daß es ein gemischtes Abkommen ist, wegen der Ratifikationsverfahren in den Mitgliedstaaten erst nach mehreren Jahren abgeschlossen sein würde oder gar in einzelnen Staaten scheitern könnte, zu beschließen. Die Anwendbarkeit dieser Vorschrift ist wegen des begrenzten Verweises in Art. 207 Abs. 3 AEUV auf Art. 218 AEUV durchaus zweifelhaft. Aber einige Mitgliedstaaten, insbesondere Deutschland, haben darauf bestanden, daß ihre Parlamente über das Abkommen abstimmen dürften, einzig und allein, um den Schein demokratischer Legitimation zu wahren; denn die Zustimmung der Parlamente gilt als sicher. Die Kommission konnte erwarten, daß die Minister der Mitgliedstaaten im Rat der vorläufigen Anwendung zustimmen werden, wenn deren Parlamente und damit vermeintlich die Öffentlichkeit zufriedengestellt würden. Eine vorläufige Anwendbarkeit kann nämlich von jeder Vertragspartei nach Art. 30.7 Abs. 3 lit. c CETA jederzeit beendet werden, von den einzelnen Mitgliedstaaten freilich nur, wenn sie auch jeder für sich Vertragspartei sind. Das sind sie, wie gesagt nur, wenn sie die alleinige Vereinbarungszuständigkeit für bestimmte Vertragsmaterien haben, so daß die Übereinkunft ein gemischtes Abkommen ist. Wenn sie das ist, verantworten die Mitgliedstaaten durch ihre Zustimmung das ganze Vertragswerk und nicht nur die EU, deren demokratische Legitimation für dieses umstürzende Regelungswerk keinesfalls hinreicht.

Die Raffinesse der Kommission ist ihr politisches durch und durch opportunistisches Zugeständnis, daß das Abkommen ein gemischtes Abkommen sei, das den Mitgliedstaaten die Herrschaft über dieses Abkommen zu sichern scheint und damit die vorläufige Anwendbarkeit politisch ermöglicht. Vor allem für Deutschland geht es um ein wahltaktisches Manöver des Wirtschaftsministers, der Vorsitzender der SPD ist, weil er sonst in seiner Partei die Unterstützung seiner Kanzlerambitionen zu verlieren droht. Die Kommission hat ihren Rechtsstandpunkt, daß das Abkommen ausschließlich in die Zuständigkeit der EU falle, erklärtermaßen nicht aufgegeben. Aber wenn sie darauf bestanden hätte, hätten einige Mitgliedstaaten die erforderliche Zustimmung im Rat notfalls verweigert. Zumal Deutschland hatte das angedroht, eine Androhung, die man freilich nicht ernst nehmen sollte. Es versteht sich, daß politische Zugeständnisse die vertragliche Zuständigkeitsordnung nicht verändern können. Die Kommission kann und will das auch nicht. Ganz im Gegenteil, sie hat wegen des Handelsabkommens der EU mit Singapur (EUSFTA), das die gleichen Zuständigkeitsfragen aufwirft wie CETA, ein Gutachten des Europäischen Gerichtshofs beantragt, daß feststellen soll, daß diese Abkommen keine gemischten Abkommen sind. So wird der Gerichtshof aller Wahrscheinlichkeit nach im Frühjahr 2017 gutachten, schon aus einem triftigen Grunde: Das ist der klare Vertragstext das Arbeitsvertrages für die Europäische Union (AEUV). Diese Vertragsregelung wollen viele Völkerrechtler und auch das Bundesverfassungsgericht nicht wahr haben. Der Maastricht-Vertrag kannte noch gemischte Abkommen, der Lissabon-Vertrag aber nicht mehr. Er hat die ständige Unsicherheit der Zuständigkeit beendet und die ausschließliche Zuständigkeit der EU für die gemeinsame Handelspolitik in Art. 3 Abs. 1 lit e AEUV vereinbart. Die nähere Regelung der Handelspolitik in Art. 206 und 207 AEUV ergibt nichts anderes, im Gegenteil diese Regelung verliert ihre Konsistenz, wenn es gemischte Abkommen gibt. Sie trifft keinerlei Regelung für diesen rechtlich und politisch mißlichen Fall. Jetzt wollen sich viele Völkerrechtlicher nicht von der alten völkerrechtlich etablierten Praxis gemischter Abkommen lösen und greifen auf deren Praxis zurück, die der Lissabon-Vertrag gerade nicht übernommen hat. Sie wollen mit einer vermeintlichen Teilzuständigkeit der Mitgliedstaaten die demokratische Legitimität des ganzen Freihandelsabkommens retten, wohl wissend, daß sie die Zustimmung der Parlamente entweder sicher sein oder von kleineren Mitgliedstaaten ‚erkaufen‘ können. Die Wallonie und Brüssel scheinen ihren tapferen Widerstand gegen das Abkommen nicht durchzuhalten (Stand 26. Oktober 2016). Nach der fragwürdigen, aber praktizierten Dogmatik der gemischten Abkommen umfaßt die Zustimmung der Mitgliedstaaten, wie gesagt, das ganze Abkommen, auch die Teile, für die nach dem geltenden Gründungsvertrag fraglos die Europäische Union die ausschließliche Zuständigkeit hat. Bevor die Wahlen in den USA die politische Lage umwälzen, soll wenigstens CETA als Wegbereiter von TTIP angewandt werden können. Dann wird man dessen ‚Wohltaten‘ schon zu propagieren wissen.

Eine ganz andere Frage ist der grobe Souveränitätsverstoß von CETA, auf den ich die von mir vertretene Verfassungsbeschwerde wesentlich stütze. Den vermögen weder die Organe der EU noch die Deutschlands zu ‚erkennen‘, weil sie ihn nicht zu überwinden die Macht haben. Das Bundesverfassungsgericht wird freilich aus Gründen der Souveränität der Deutschen dem Abkommen Grenzen ziehen. Nach dem Urteil vom 13. Oktober 2016 ist das für den Investitionsschutz durch den Investitionsgerichtshof zu erwarten, der nicht nur mit dem demokratischen Prinzip, sondern vor allem mit dem Rechtsstaatsprinzip und dem Sozialprinzip unvereinbar ist und die Hoheit des deutschen Volkes untergräbt. Das müßten sie nicht, wenn CETA als gemischtes Abkommen die Zustimmung des Bundestages und des Bundesrates gefunden haben sollte, weil das demokratisch legitimieren würde, jedenfalls parteiendemokratisch. Wenn CETA insgesamt in die ausschließliche Zuständigkeit der EU fällt, hat das Gericht wieder das Dilemma zu erwarten, daß der Europäische Gerichtshof die Vorbehalte des deutschen Verfassungsgerichts auf die notwendige Vorlage nach Art. 267 AEUV zur Vorabentscheidung hin nicht anzuerkennen erwarten läßt. Das vertragswidrige politische Zugeständnis der Kommission, CETA als gemischtes Abkommen zu behandeln, kommt sogar der Souveränität der Mitgliedstaaten entgegen, weil deren Parlamente die Verantwortung für das Abkommen gemeinsam mit der Union übernehmen. Das würde dem Bundesverfassungsgericht entgegen der Verfassungslage wohl genügen, um das Abkommen hinzunehmen und die Verfassungsbeschwerden als unbegründet zurückzuweisen. Es ist für die Beschwerdeführer keineswegs vorteilhaft, vorzutragen, daß CETA ein gemischtes Abkommen sei. Das haben die anderen Verfahrensbevollmächtigten nicht recht erfaßt.

Wenn die Minister der Mitgliedstaaten im Rat die Vereinbarung der vorläufigen Anwendung von CETA genehmigen würden, schien bis zum Urteil vom 13. Oktober 2016 das Freihandelsabkommen der Union mit Kanada unter Dach und Fach zu sein. Warum? Weil nach dem Gutachten des Europäischen Gerichtshofs zur ausschließlichen Zuständigkeit der Union für derartige Handelsabkommen die Mitgliedstaaten sich keiner handelspolitischen Zuständigkeit mehr hätten berühmen können, auf Grund derer sie gemäß Art. 30.7 Abs. 3 lit c CETA die vorläufige Anwendung hätten beenden können. Das hätte dann nur noch die Union machen können, ganz unabhängig davon, ob die Mitgliedstaaten dem Abkommen als gemischten Abkommen zugestimmt haben. Eine vertragswidrige Praxis vermag die vertragliche Zuständigkeitsordnung nicht zu verändern. Das einzusehen hatte übrigens der Bundeswirtschaftsminister in der mündlichen Verhandlung über die Anträge auf einstweilige Anordnung, die Zustimmung Deutschlands zur vorläufigen Anwendung von CETA im Rat zu verbieten, nicht behebbare Schwierigkeiten, trotz deutlicher Andeutungen und Mienen der Richter. Von der Durchsetzung von CETA ist nicht nur seine Chance zur Kanzlerkandidatur abhängig, sondern auch die weitere Entwicklung der Globalisierung der Märkte und Entmachtung der Einzelstaaten. Das Hauptinteresse der gegenwärtigen politischen Klasse ist es augenscheinlich, gemessen an ihrer Politik, ein staatsähnliches internationalistisches politisches System zu errichten, das die Souveränität der Völker überwindet und damit den lästigen Ansprüchen der Bürger auf Demokratie und damit auf Rechts- und Sozialstaat Substanz und Relevanz nimmt.

Das wäre der Sieg des kapitalistischen Neoliberalismus, der den ‚Eliten‘, mächtig und reich, das Ärgernis von Wahlen nimmt, weil diese, falls sie noch abgehalten werden, gänzlich ohne Einfluß auf die Politik würden. Dann gibt es auch keine Schwierigkeiten mehr mit der Verteilung der Volkseinkommen. Die Massen verlieren ohne für die Politiker der Einzelstaaten relevante Wahlen ihre noch verbliebene Macht und die kleine Gruppe der ‚Elite‘ beherrscht wie in ihren ‚besten‘ Zeiten die Aristokratie die Untertanen, die ihr Leben mit dem Dienst für ihre Unterdrücker fristen dürfen. Alle aufklärerischen Errungenschaften des Modernen Staates, Demokratie, Rechtsstaat und Sozialstaat, gehen verloren. Unerklärlich ist, daß die meisten Sozialisten diese Politik um ihres Internationalismus und Egalitarismus willen unterstützen, vor allen die, die sich Sozialdemokraten nennen. Ihre Propagandaformel ist „Freihandel“, wachsender Wohlstand für alle durch weltweiten Freihandel. Das ist ein Jahrhundertirrtum. Die Praxis, insbesondere das Freihandelsprojekt Binnenmarkt der EU, beweist das Gegenteil, Reichtum für wenige, Armut für die Vielen. Der vermeintliche Freihandel ist nämlich keiner, sondern ein System der Ausbeutung, für das die heterogenen Volkswirtschaften einem ungleichen und unfairen Wettbewerb ausgesetzt werden. Ich nenne das unechten Freihandel.

Das Bundesverfassungsgericht hat ein wenig Wasser in den Wein gegossen: Das Urteil vom 13. Oktober 2016 ordnet an, daß Deutschland völkerrechtsverbindlich erklärt, allein die vorläufige Anwendbarkeit von CETA, welche der Rat in den nächsten Tagen zu genehmigen terminiert hatte, beenden zu können. Nur dadurch wird sichergestellt, daß ein Endurteil des Bundesverfassungsgerichts über die Vereinbarkeit von CETA mit dem Grundgesetz nicht leer läuft, wenn erwartungsgemäß der Europäische Gerichtshof im Frühjahr 2017 im Gutachten zum Singapur-Abkommen der Europäischen Union (EUSFTA) die Position der Kommission bestätigt, daß es entgegen der Auffassung der Bundesregierung keine gemischten Abkommen in der Handelspolitik der Union gibt, welche den Mitgliedstaaten die Mitbestimmungsbefugnis über das ganze Abkommen verschaffen. Der Bundesminister der Wirtschaft darf zudem nach dem Urteil einem Anwendungsbeschluß des Rates nur für die Teile des Abkommens zustimmen, die in die ausschließliche Zuständigkeit der Union fallen. Die sind allerdings nicht geklärt. Außerdem muß die demokratische Rückbindung der verbindlichen Politik des CETA-Hauptausschusses gewährleistet werden. Damit haben die Beschwerdeführer das Abkommen zwar nicht verhindert, aber erreicht, was überhaupt in einem Eilverfahren erreichbar war.

2. Mit meiner einführenden Stellungnahme für die mündliche Verhandlung am 12. Oktober 2016 habe ich versucht, den rechtlichen und damit politischen Rahmen des Beschwerdeverfahrens gegen CETA und dessen vorläufige Anwendbarkeit zu skizzieren:

1. Der Verfassungsstreit um das CETA befaßt den Hohen Senat mit dem ersten großen Freihandelsabkommen, das die Globalisierung der Märkte mittels staatsähnlicher politischer Organisation betreibt. Dem steht die nationale Souveränität entgegen. Es geht um die historische Auseinandersetzung zwischen Internationalität und Nationalität der Lebensverhältnisse.

2. Freihandel ist das Wort, das die Einebnung der nationalen Verantwortung legitimieren soll. Die propagierten ökonomischen Zuwächse bleiben aus, aber die Rechtlosigkeit der Verteilung dessen, was erarbeitet wird, nimmt zu. Veranstaltet wird ein unechter Freihandel, dem die wesentliche Voraussetzung des echten Freihandels fehlt, die Auslastung aller Ressourcen der beteiligten Volkswirtschaften, die erst komparative Vorteile mit sich bringen kann. Sicherheit oder Wagnis? Ja zum echten Freihandel, nein zum unechten. Dem ist der Schutz der nationalen Lebensbewältigung vorzuziehen, die viel geschmähte Protektion, so wie das Friedrich List im 19. Jahrhundert gelehrt hat. Die Menschen leben in den Ordnungen und Wirtschaften der Einzelstaaten, nicht in einer staatenlosen Welt, die manch einer visioniert. Die Einzelstaaten, in Europa, trotz aller Politiken, die das zu ändern versuchen, national geprägt, tragen die Verantwortung für das Wohlergehen ihrer Bürger. Sie müssen diese auch tragen können. Das gehört zum Prinzip der freiheitlichen Souveränität. Der unechte Freihandel ermöglicht kapitalistische Ausbeutung und egalitaristische Verarmung der ohnmächtigen Schwachen und elitärer Reichtum der privilegierten Starken.

3. Die Politik des globalen unechten Freihandels schleift wesentliche Errungenschaften des Modernen Staates, den Rechtsstaat, die Demokratie und den Sozialstaat. Sie nimmt der Souveränität der Bürger die Wirkung. Die Souveränität ist Gebot der bürgerlichen Freiheit, deren politische Form die Republik ist. Deren politische Willensbildung muß demokratisch sein. Das kann der internationalisierte Staat nicht verwirklichen, schon gar nicht in globaler Gestalt. Diese Politik ruiniert die Kulturen.

4. Das Desaster des europäischen Binnenmarktes sollte uns das Fürchten lehren. Er war und ist erklärtermaßen ein Freihandelsprojekt. Auch die Währungsunion konnte und kann dieses nicht retten. Sie hat den Zusammenbruch der schwachen Volkswirtschaften beschleunigt und den stärkeren global währungsbedingte Exportvorteile gebracht, vor allem Deutschland – ein unsittliches Preisdumping. Auch eine Bankenunion wird nicht helfen. Eine Sozialunion jedoch ist nicht finanzierbar und würde die beteiligten Volkswirtschaften alle in den Abgrund schicken. CETA und erst recht TTIP werden den Mißbrauch der volkswirtschaftlichen Divergenzen transatlantisch in dem angestrebten ‚größten Binnenmarkt‘ verbreitern, zum Schaden der Kleinen und zum Vorteil der Großen.

5. Für uns kann es nur eine Maxime geben, die Verteidigung des Rechts. Allein Rechtlichkeit verwirklicht Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit und damit Rechtsstaat, Demokratie und umweltgerechten Sozialstaat, die Leitprinzipien bürgerlicher Souveränität, der Republik. Die Republikanität gegen den Globalismus zur Geltung zu bringen ist Aufgabe des Hohen Senats. Die Beschwerdeführer bemühen sich um Hilfestellung. Das Recht darf nicht opportunistisch unter ideologische Parolen gebeugt werden, schon gar nicht unter materielle Interessen.

6. Die Komplexität des Projekts CETA hat Verwirrung gestiftet. Alles ist unklar, nichts ist geklärt. In Streit sind Zuständigkeiten der Union, der Mitgliedstaaten oder beider in gemischten Abkommen. Streitig sind demokratischer Schein durch Beteiligung der nationalen Parlamente und des Europäischen Parlaments. Bestritten werden die handelspolitischen Befugnisse der Union. Geklärt werden müssen die Grenzen völkerrechtlicher Institutionalisierung. Angemahnt wird der demokratische Status der Rechtsprechung. Es geht um die nationale Hoheit über die Wirtschaft, über das Soziale. Es geht um Vorsorge und um Gesundheit jetzt und in Zukunft. Es geht um Daseinsvorsorge durch den Staat oder durch gewinnorientierte Unternehmen im globalen Wettbewerb.

7. Heute gilt es, die vorläufige Anwendung des Abkommens vor dessen Inkraftsetzung abzuwenden. Erstere soll in den nächsten Tagen beschlossen werden. Das Instrument mag man einsetzen, wenn eine Übereinkunft keinen relevanten Widerspruch ausgelöst hat, nicht aber wenn es derart umstritten ist wie CETA und millionenfach von Bürgern abgelehnt wird, von den Bürgern, die die Leidtragenden sein werden. Aus durchsichtigen Gründen hat die Kommission die Verteidigung gegen CETA nach Kräften behindert, vor allem durch Verschleierung der Vertragsmaterie hinter der englischen Vertragssprache. Ein demokratischer Diskurs des Vertrages, der auf lange Zeit das wirtschaftliche, soziale und ökologische Schicksal der Unionsstaaten bestimmen wird, wurde dadurch demokratiewidrig verhindert. Wenige Wochen in der Sommerzeit genügen dafür nicht.

8. Der Rechtsstaat wird durch die neuartigen Regelungen des Investitionsschutzes weiter geschwächt. Die Institutionalisierung eines Anspruchs auf Schadensersatz für ausländische Investoren gegen Staaten wegen rechtmäßiger Staatsakte, die den Nutzen der Investitionen schmälern, ist eine Ungeheuerlichkeit, noch dazu, wenn darüber Gremien entscheiden sollen, die ohne ein Spur demokratischer Legalität agieren. Das sind keine freiheitlichen und rechtsstaatlichen Gerichte; denn die müssen im Namen eines Volkes, also demokratisch legitimiert, rechtsprechen. Die neue Regelung übersteigt völkerrechtliche Vertragsmöglichkeiten, weil sie ein staatsrechtliches Instrument einrichtet. Staaten sollen durch Private vor einem internationalen Gremium zur Rechenschaft gezogen und mittels Schadensersatzpflichten sanktioniert werden können. Das ist souveränitätswidrige Intervention. Bisher ist eine derartige völkerrechtliche Subjektivierung von Privaten vermieden worden, wenn auch die Investitionsschiedsgerichte dem nahe kommen. Aber auch diese waren rechtlich bedenklich. Souveränitätsrechtlich untragbar ist, daß dieses Instrument den Staaten von einer völkerrechtlichen Organisation, der Europäischen Union, die nicht einmal selbst über ein solches verfügt, mittels eines Vertrages mit einem Drittstaat oktroyiert werden soll.

9. Das Vorsorgeprinzip darf keinesfalls relativiert werden, aber auch nicht die eigene Hoheit über die Standards der Lebensmittel- und Produktsicherheit durch ein verdecktes Herkunftslandprinzip, das der Europäische Gerichtshof entfalten wird.

10. Die Unterwerfung der öffentlichen, insbesondere der kommunalen, Unternehmen unter staatswidrige Wettbewerbsregeln wird durch den Wettbewerb mit überseeischen Unternehmern erheblich verbösert. Den Begriff der öffentlichen Unternehmen konnte noch nie jemand so definieren, daß diese sich von anderen staatlichen Aktivitäten unterscheiden lassen. CETA setzt staatliche Einrichtungen derart dem Gutdünken der Entscheider aus, daß jedenfalls in Deutschland staatliche Verwaltungen, wie Schulen und Hochschulen, dem Wettbewerb ausgeliefert werden können. Das wird deren Anspruchsniveau weiter schaden. Kommunalisierungen werden durch den Investitionsschutz so gut wie ausgeschlossen, obwohl das allein Sache der kommunalen Selbstverwaltung ist und sein sollte.

Berlin, den 19./26. Oktober 2016