Säkularität

Säkularität –Bedingung von Freiheit, Recht und Staat

Karl Albrecht Schachtschneider

Potsdam 5. September 2018

 

 

I Sekularität

Die Säkularisation ist die größte Revolution Europas. Revolution ist Befreiung zum Recht.

Die Säkularisation ist Ergebnis der Französischen Revolution, einer bürgerlichen Revolution. Diese hätte sich ohne die Reformation kaum ereignet. Trotz allen Tugendterrors Robesspierres, der die Revolution verraten hat. Diese war der ausweislich der Vordenkers Rousseau und der Declaration der Rechte des Menschen und des Bürgers vom 1789 der Vernunft verpflichtet. Kant hatte bestimmenden Einfluß auf Abbé Sieyes, den Vordenker der Declaration und Verfasser der Revolutionsverfassung. Die Säkularisation ist das Ende des monarchischen Prinzips, in Deutschland erst 1918; denn entweder ist der Monarch von Gott legitimiert oder gar nicht. Herrschaft eines Menschen über die vielen Menschen, die Untertanen, ist anders nicht legitimierbar.

Säkularität ist strikte Trennung von Religion und Politik, der Ersten von der Zweiten Welt, des Geistlichen vom Weltlichen, von Jenseits und Diesseits, von Glauben und Recht, von Evangelium und Gesetz, von sacerdotium und imperium, von Papst und Kaiser, von Kirche und Staat,  iustitia christiana und von iustitia civilis , von iustitia fidei von iustitia operum, also zweier Weisen von Rechtfertigung und zweier Arten von Gerechtigkeit.

Die Säkularisation ist trotz aller Verflechtungen von Kirche und Staat, im Christentum angelegt. Jesus Christus: Ich bin nicht von dieser Welt. Zwei Reichelehre des Augustinus

Toleranz. Die aufkläre­rische Tole­ranz ist nicht nur Grund­pflicht, die mit dem freiheitlichen Religions­pluralismus verbunden ist, sondern Voraus­setzung der Religionsgrundrechte

Neutralitätspflicht des Staates gegenüber den Religionen und deren Gleichbehandlung.

II Freiheit

Kant: Freiheit ist das einzige mit dem Menschen geborene Recht. Freiheit ist die Würde des Menschen.

Die Freiheit ist für alle Menschen gleich. Daraus erwächst die Gleichberechtigung.

BVerfGE 129, 124 (177), Rn. 101: „Der Anspruch auf freie und gleiche Teilhabe an der öffentlichen Gewalt ist in der Würde des Menschen (Art. 1 Abs. 1 GG) verankert“. „Der Staat des Grundgesetzes ist der Entscheidungs- und Verantwortungszusammenhang, vermittels dessen sich das Volk nach der Idee der Selbstbestimmung aller in Freiheit und unter Anforderung der Gerechtigkeit seine Ordnung, insbesondere seine positive Rechtsordnung als verbindliche Sollensordnung setzt“ (BVerfGE 44, 125 (142)).

Kant: „Idee der Würde eines vernünftigen Wesens, das keinem Gesetz gehorcht, als dem, das es zugleich selbst gibt“

Frei ist, wer unter dem eigenen Gesetz lebt. Das Gesetz ist notwendig allgemein, also der allgemeine Wille des Volkes.

Äußere Freiheit ist die Unabhängigkeit von eines anderen nötigender Willkür. Innere Freiheit die Sittlichkeit. Sie hat ihr Gesetz im Sittengesetz. Das Sittengesetz ist das Gesetz des Sollens. Das Sittengesetz hat drei Formeln, nämlich: die deontische Formel: „…: handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, daß sie ein allgemeines Gesetz werde“,  oder: „Handle so, daß die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne“. „Maxime ist das subjektive Prinzip des Wollens; das objektive Prinzip (d. i. dasjenige, was allen vernünftigen Wesen auch subjektiv zum praktischen Prinzip dienen würde, wenn Vernunft volle Gewalt über das Begehrungsvermögen hätte) ist das praktische Gesetz. Selbstzweckformel:  „…: Handle so, daß du die Menschheit, sowohl in deiner Person, als in der Person jedes andern, jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchest“. Naturgesetzformel: Handle so, als ob die Maxime deiner Handlung durch deinen Willen zum allgemeinen Naturgesetze werden sollte“. Das Sittengesetz ist das Rechtsprinzip, das Gebot des neminem laedere. Das verlangt die uneingeschränkte Legalität, die vom Gesetz allgemeine bestimmte oder, wenn das Handeln nicht durch Gesetz geregelt ist, die allein bestimmte. Moralität ist die Triebfeder der Sittlichkeit: Handele pflichtmäßig aus Pflicht.

Dogmatik der Praxis (BVerfG, h. M.) ist Herrschaft. Der Staat sei ein Herrschaftsgebilde. Herrschaft ist das Gegenteil von Freiheit, mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht vereinbar. Staatsgewalt ist nicht Herrschaft, sondern Rechtsverwirklichung des Staates, notfalls durch Zwang.

 

III Recht

Recht ist das Richtige auf der Grundlage der Wahrheit für das gute Leben aller Bürger eines Staates.

Wahrheit ist die bestmögliche Theorie von der Wirklichkeit. Das Richtige ist das Sollen. Beides muß erkannt werden, von jedem Bürger und allen zusammen (Diskurs) und vor allem vom Staat im Namen der Bürgerschaft. Der Staat hat nicht zu gestalten, sondern das Recht zu verwirklichen. Wenn das geschieht, geht es allen gut. Zum Rechtsstaat gehört auch die soziale Realisation.

Recht ist der allgemeine Wille des Volkes. Wille ist Ausdruck praktischer Vernunft, nicht Willkür. Wille ist ein Begriff der Transzendentalphilosophie. Nur das Vernunftwesen, der homo noumenon, hat einen Willen. Der homo phainomenon, der empirische Mensch handelt nach seiner Willkür, die frei, also vernünftig, oder unfrei, also determiniert, von der Natur, von Herrschaft, von Neigungen (Habsucht, Ehrsucht, Machtsucht) sein kann. Sittlich ist nur freies Handeln.

Es gibt kein Mehrheitsprinzip. Mehrheit legitimiert  und legalisiert nichts. Es gibt eine Mehrheitsregel. Voraussetzung ist immer Erkenntnis des Rechts von allen die zuständig sind. Aber wer irrt? Das rechtfertigt, daß die Mehrheit, oft eine qualifizierte Mehrheit die Entscheidung bestimmt. Die freie Rede, der Wahrheit und Richtigkeit verpflichtet, ist Essentiale des freiheitlichen Gemeinwesens. Propaganda ist ein Herrschaftsmittel, mit der Freiheit unvereinbar.

Die Gesetze dürfen das Verfassungsgesetz nicht verletzen, insbesondere nicht die Grundrechte. Das Verfassungsgesetz ist der Wille des Volkes als Verfassungsgeber, mit Vorrang vor den Gesetzen. Das Verfassungsgesetz muß der Verfassung, die mit dem Menschen geboren ist, beachten, die Freiheit und die mit der Freiheit verbundenen Rechte, das Recht auf Leben, das Recht auf und am Eigentum, das Recht der freien Rede.

Nur Rechtlichkeit verwirklicht die allgemeine Freiheit.

Recht wird in Gesetzen, dem Vollzug der Gesetze und in jeder Handlung materialisiert. Recht und Gesetze sind nicht identisch. Wenn die Gesetze dem Recht nicht genügen, müssen sie korrigiert werden (Verfassungsgerichtsbarkeit).

Recht ist objektiv und darum erkennbar.

IV Staat

Augustinus: Was ist der Staat andres als eine Räuberbande, latrocinium, wenn ihm die Gerechtigkeit fehlt.

Kant: Der Staat (civitas) ist die Vereinigung einer Menge von Menschen unter Rechtsgesetzen. Dieser Staat ist eine Republik. Eine Republik ist Staat des Rechts, Rechtsstaat. Sie muß demokratisch sein. Demokratie ist die politische Form der allgemeinen Freiheit. Sie muß auch sozial sein. Monarchien waren Herrschaftsgebilde. Sie bildeten Reiche, nicht Staaten.

Der Staat ist die Organisation der Bürgerschaft zur Verwirklichung des Rechts als des gemeinen Wohls. Der Staat ist für die Bürger essentiell. Ihre Freiheit schützt nur ihr Staat. Dafür ist er von den Bürgern geschaffen. Niemand außer den Bürgern hat Recht gegenüber dem Staat, es sei denn, daß sie ihm auf Grund von Verträgen mit anderen Staaten zugestanden sind, meist nach dem Prinzip der Gegenseitigkeit. Niemand hat das Recht, ein Staatsgebiet zu betreten, dem es der Staat nicht erlaubt hat. Der Staat grenzt aus.

Die Staatsgewalt ist das Walten des Staates. Das ist Verwirklichung des Rechts, notfalls durch Zwang.

Die Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird durch Wahlen und Abstimmung und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt (Art. 20 Abs. 2 GG). Sie ist nicht Herrschaft der Amtswalter über das Volk. Diese haben dem Volk zu dienen. Sie sind Vertreter des Volkes. Jeder Bürger ist der Staat, allerdings nur in der organisierten Allgemeinheit. Der Bürger ist durch seine Freiheit definiert. Er ist souverän, nicht der Staat als Person. Die Organe des Staates üben die Souveränität der Bürger in deren Namen aus. Das Allgemeine der Bürgerschaft können nur alle Bürger in ihrer Allgemeinheit verwirklichen, unmittelbar oder mittelbar durch Vertreter des Volkes. 

V Zusammenhang

Die religiöse oder weltanschauliche Homogenität ist Bedin­gung kon­sensualer unmittelbar oder mittelbar demokratischer Staatlich­keit, also einer Repu­blik, solange die Menschen sich ideologisch bestimmen lassen. Das Religiöse ist in Deutschland weitgehend res privata; res publica ist die religiöse Tole­ranz der Bürger und die religiöse Neutrali­tät des Staates. Die Repu­blik ist religiös indifferent; sie darf sich mit keiner Religion identifizie­ren und dazu auch von niemandem gedrängt werden. Das Christentum hat für das deutsche Volk nicht anders als für die ande­ren Völker Europas, außer etwa den Bosniern oder den Türken, wenn man sie zu den europäischen Völkern zählt, nach wie vor kultu­relle und nationale Rele­vanz, jedenfalls in der aufklä­rerischen Säku­la­rität­ des Prin­zips der Nächstenliebe als kantiani­sches Sittenge­setz, wel­ches die ethische Grundent­scheidung Deutsch­lands und jedes freiheitlichen Gemein­wesens ist. Wer die innere Säkularisation in politicis nicht leistet, verfehlt sein bürgerliches Amt in der Republik, deren We­sen die frei­heitli­che, also allge­meine, Gesetzge­bung ist.

Ohne Säkularität ist ein freiheitliches und damit rechtsstaatliches Gemeinwesen nicht denkbar. Sie gehört essentiell zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Welche Religion sollte bestimmend sein? Jede Art von Religionsherrschaft verletzt alle, die der herrschenden Religion nicht folgen. Das ist die Logik des Religionspluralismus. Wer an der Politik teilnimmt, das ist das Recht und die Pflicht jeden Bürgers, muß sich in politicis von seiner Religion freimachen, sich innerlich säkularisieren. Religionskämpfe führen regelmäßig zu Bürgerkriegen. Darum schützen die Religionsgrundrechte kein politisches Handeln (Wortlaut, Art. 140 GG, Art 136 WRV, Art. 18 GG). Staatsgewalt des Volkes schließt Gottesherrschaft aus. Theokratie ist Widerspruch zur Demokratie, zur Freiheit des Volkes, auch der Ungläubigen. Recht ist Erkenntnis, nicht Offenbarung. Der Staat dient dem Recht und damit der Freiheit und damit den Bürgern, den Volk, nicht den Priestern, nicht den Finanzeliten.