Kant – Vater des Grundgesetzes und die Verfassungswirklichkeit in Deutschland
Immanuel Kant – Vater des Grundgesetzes
und
die Verfassungswirklichkeit Deutschlands
von
Karl Albrecht Schachtschneider
Inhalt
1. Würde des Menschen (Art. 1 Abs. 1 S. 1 GG) 2
2. Freiheit oder Herrschaft (Art. 1 Art. 1 GG und Art. 2 Abs. 1 GG) 15
3. Wille und Willkür 18
4. Sittengesetz und Moralität (Art. 2 Abs. 1 GG) 22
5. Freiheit der Meinungsäußerung (Art. 5 Abs. 1 und Abs. 2 GG) 23
6. Volk und Staat (Art. 20 Abs. 2 GG) 26
7. Demokratie als Parteienstaat (Art. 20 Abs. 1 und 2, Art. 21, Art. 38 Abs. 1 GG) 29
8. Parteienstaat versus Gewaltenteilung (Art. 20 Abs. 1, Abs. 2 und Abs. 3 GG) 35
9. Recht und Gesetz (Art. 20 Abs. 3, Art. 97 Abs. 1, Art. 93, Art. 100 GG) 37
10. Europäische Union 40
Ich werde zu den Grundbegriffen und Grundprinzipien des Grundgesetzes Sätze Immanuel Kants zitieren. Kant hat diese in der Kritik der reinen Vernunft untersucht und in weiteren Schriften zur Praxis zu Grunde gelegt, vor allem in der Kritik der praktischen Vernunft, der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten und der Metaphysik der Sitten. Die Transzenden-talphilosophie Kants näher darzulegen ist in der gebotenen Kürze nicht möglich. Der Mühe des Kantstudiums muß sich jeder, der ihn verstehen will, selbst unterziehen. Eigentlich ist es ein Frevel, Sätze von Kant aus ihrem Zusammenhang zu reißen. Jeder der Sätze Kants ist für das Verständnis wichtig. Kant ist ein Meister definitorischer Sprache. Auch die Dogmatik des Bundesverfassungsgerichts zu den fundamentalen Prinzipien des Grundgesetzes gebe ich nach Möglichkeit in Zitaten des Gerichts zur Kenntnis. Verschiedentlich zitiere ich auch andere Denker oder weise auf deren Lehren hin. Danach skizziere ich meine Kritik an den Wider-sprüchen der vom Bundesverfassungsgericht durchgesetzten Verfassungswirklichkeit zum Grundgesetz in dessen kantianischen Verständnis.
Kant (1724 bis 1804) ist Aufklärer. Der revolutionäre Metaphysiker Kant ist der Lehrer der Freiheit und des Rechts an und für sich. Jean- Jacques Rousseau (1712 bis 1778) hat ihn be-einflußt.
Ich zitiere Kants Schriften aus der Ausgabe von Wilhelm Weischedel, Immanuel Kant, Werke in zehn Bänden, 1968.
1. Würde des Menschen (Art. 1 Abs. 1 S. 1 GG)
Ich erörtere die Materialisierung des formalem Prinzips der Würde des Menschen mit Judika-ten als Beispielen, weil sie die folgenreichste Umgestaltung des Grundgesetzes von einem Staat, dessen Gewalt vom Volke ausgeht, in einen Staat, der von seinem Verfassungsgericht beherrscht wird, ist. Diese Judikatur wird der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, wie sie das Grundgesetz geschaffen hat, nicht gerecht.
Kant: Die „Idee der Würde“ ist die „eines vernünftigen Wesens, das keinem Gesetze ge-horcht, als dem, das es zugleich selbst gibt“ (Grundlegung zur Metaphysik der Sitten., 1785/1786, GzMdS, S. 67). Die „Qualität des Menschen ist es, sein eigener Herr, sui iuris, zu sein“ (MdS, S. 345) „unter dem eigenen Gesetz zu leben“ (GzMdS, S. 67).
„Die Würde ist die Menschheit des Menschen und damit die Autonomie des Willens“ (GzMdS, S. 87 ff.; Kritik der praktischen Vernunft, 1788, KpV, S. 218). Sie ist „die Freiheit, die mit dem Menschen geboren ist“ (Kritik der reinen Vernunft, 1781/1787, KrV, S. 335 ff, 385 f., 492 ff.). Darum gibt es ein „naturgesetzliches Recht auf eine bürgerliche Verfassung“ (Metphysik der Sitten, Erster Theil. Metphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, 1797/98, MdS, S. 374).
BVerfG: BVerfGE 27, 1 ff., 1969, Mikrozensus: Rn. 32: „Grundgesetzes ist die Menschen-würde der oberste Wert. Wie alle Bestimmungen des Grundgesetzes beherrscht dieses Be-kennt-nis zu der Würde des Menschen auch den Art. 2 Abs. 1 GG. Rn. 35: „Nicht jede statis-tische Er-hebung über Persönlichkeits- und Lebensdaten verletzt jedoch die menschliche Per-sönlichkeit in ihrer Würde oder berührt ihr Selbstbestimmungsrecht im innersten Lebensbe-reich.
BVerfGE 30, 1 ff., 1970, Abhörung: Die „Behandlung“ des Menschen dürfe „die Subjekt-qualität“ nicht „prinzipiell in Frage stellen“ oder „im konkreten Fall eine willkürliche Mißach-tung der Würde des Menschen“ sein, dürfe nicht „Ausdruck der Verachtung des Wertes, der dem Menschen kraft seines Personseins zukommt, also in diesem Sinne eine ‚verächtliche Be-handlung‘ sein“.
BVerfGE 30, 173 ff., 1971, Mephisto: „Das Gebot der Unverletzlichkeit der Menschenwürde verbürgt Schutz vor solchen Eingriffen in die Persönlichkeitssphäre, durch die zugleich der Mensch als solcher in seinem Eigenwert, seiner Eigenständigkeit verletzt ist“.
BVerfGE 32, 98 ff., 1971, Gesundbeter: In einem Staat, in dem die menschliche Würde oberster Wert ist, und in dem der freien Selbstbestimmung des Einzelnen zugleich ein gemein-schaftsbildender Wert zuerkannt wird, gewährt die Glaubensfreiheit dem Einzelnen einen von staatlichen Eingriffen freien Rechtsraum, in dem er sich die Lebensform zu geben vermag, die seiner Überzeugung entspricht. Dazu gehört auch das Recht des Einzelnen, sein gesamtes Verhalten an den Lehren seines Glaubens auszurichten und seiner inneren Glaubensüberzeu-gung gemäß zu handeln Als Teil des grundrechtlichen Wertsystems ist die Glaubensfreiheit dem Gebot der Toleranz zugeordnet, insbesondere auf die in Art. 1 Abs. 1 GG garantierte Würde des Menschen bezogen, die als oberster Wert das ganze grundrechtliche Wertsystem beherrscht.
BVerfGE 33, 23 ff., 1972, Eidesverweigerung: Als spezifischer Ausdruck der in Art. 1 Abs. 1 GG garantierten Menschenwürde schützt Art. 4 Abs. 1 GG gerade auch die vereinzelt auftre-tende Glaubensüberzeugung, die von den Lehren der Kirchen und Religionsgemeinschaften abweicht. Dem Staat ist es verwehrt, bestimmte Bekenntnisse zu privilegieren oder den Glau-ben oder Unglauben seiner Bürger zu bewerten.
BVerfGE 39, 1 ff., 1975, Schwangerschaftsabbruch: „Das menschliche Leben stellt, wie nicht näher begründet werden muß, innerhalb der grundgesetzlichen Ordnung einen Höchstwert dar; es ist die vitale Basis der Menschenwürde und die Voraussetzung aller anderen Grund-rechte“ „Bei einer Orientierung an Art. 1 Abs. 1 GG muß bei der Abwägung beider Verfas-sungswerte in ihrer Beziehung zur Menschenwürde“ „die Entscheidung zugunsten des Vor-rangs des Lebensschutzes für die Leibesfrucht vor dem Selbstbestimmungsrecht der Schwan-geren fallen“
BVerfGE 45, 187 ff., 1977, lebenslange Freiheitsstrafe: Freilich kann in das Recht der persön-lichen Freiheit gemäß Art. 2 II 3 GG aufgrund eines Gesetzes eingegriffen werden.. Der Ge-setzgeber muß bei der Ausübung der ihm erteilten Ermächtigung sowohl die Unantastbarkeit der Würde des Menschen (Art. 1 I GG), das oberste Prinzip der verfassungsmäßigen Ord-nung, als auch weitere Verfassungsnormen, insbesondere den Gleichheitssatz (Art. 3 I GG) und das Gebot der Rechtsstaatlichkeit und Sozialstaatlichkeit (Art. 20 I GG) beachten. Ist schon die Freiheit der Person ein so hohes Rechtsgut, daß sie nur aus besonders gewichtigem Grund eingeschränkt werden darf, so bedarf der lebenslange Entzug dieser Freiheit einer be-sonders strengen Prüfung am Maßstabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Der Satz, „der Mensch muß immer Zweck an sich selbst bleiben“, gilt uneingeschränkt für alle Rechtsgebiete; denn die unverlierbare Würde des Menschen als Person besteht gerade darin, daß er als selbst-verantwortliche Persönlichkeit anerkannt bleibt“. „Auf dem Gebiet der Strafrechtspflege, auf dem höchste Anforderungen an die Gerechtigkeit gestellt werden, bestimmt Art. 1 I GG die Auffassung vom Wesen der Strafe und das Verhältnis von Schuld und Sühne. Der Grundsatz „nulla poena sine culpa“ hat den Rang eines Verfassungssatzes. Jede Strafe muß in einem ge-rechten Verhältnis zur Schwere der Straftat und zum Verschulden des Täters stehen. Aus Art. 1 I GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip ist daher – und das gilt insbesondere für den Strafvollzug – die Verpflichtung des Staates herzuleiten, jenes Existenzminimum zu ge-währen, das ein menschenwürdiges Dasein überhaupt erst ausmacht. Dieses Resozialisierungs-interesse ergebe sich für den Straftäter aus Art. 2 I in Verbindung mit Art. 1 GG. denn der Kern der Menschenwürde wird getroffen, wenn der Verurteilte ungeachtet der Entwicklung seiner Persönlichkeit jegliche Hoffnung, seine Freiheit wiederzuerlangen, aufgeben muß.
BVerfGE 52, 223 ff., 1979, Glaubensfreiheit: „Als Teil des grundrechtlichen Wertsystems ist die Glaubensfreiheit dem Gebot der Toleranz zugeordnet, insbesondere auf die in Art. 1 Abs. 1 GG garantierte Würde des Menschen bezogen, die als oberster Wert das ganze grundrechtli-che Wertsystem beherrscht“.
BVerfGE 80, 60 ff., 1990, Steuerfreies Mindesteinkommen: „Zwingend ist lediglich, daß der Staat die Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein seiner Bürger schafft.
BVerfGE 102, 370 ff., 2000, Zeugen Jehovas: Art. 79 Abs. 3 GG entzieht die in Art. 1 Abs. 1 und Art. 20 GG niedergelegten Grundsätze jeglicher Änderung. Das Grundgesetz erklärt da-mit neben dem in Art. 1 Abs. 1 GG verankerten Grundsatz der Menschenwürde und den von ihm umfassten Kerngehalt der nachfolgenden Grundrechte auch andere Garantien für unan-tastbar, die in Art. 20 GG festgehalten sind. Dazu gehören die Prinzipien von Rechtsstaat und Demokratie. Eine systematische Beeinträchtigung oder Gefährdung dieser vom Grundgesetz auf Dauer gestellten Grundsätze darf der Staat nicht hinnehmen, auch nicht von Seiten einer als Körperschaft des öffentlichen Rechts verfassten Religionsgemeinschaft“.
BVerfGE 109, 279 ff., 3. März 2004, Großer Lauschangriff (Änderung des Grundgesetzes (Artikel 13) vom 26. März 1998 (BGBl. I S. 610): Zur Unantastbarkeit der Menschenwürde gemäß Art. 1 Abs. 1 GG gehört die Anerkennung eines absolut geschützten Kernbereichs pri-vater Lebensgestaltung. In diesen Bereich darf die akustische Überwachung von Wohnraum zu Zwecken der Strafverfolgung (Art. 13 Abs. 3 GG) nicht eingreifen. Würde der Staat in ihn eindringen, verletzte dies die jedem Menschen unantastbar gewährte Freiheit zur Entfaltung in den ihn betreffenden höchstpersönlichen Angelegenheiten.
Selbst überwiegende Interessen der Allgemeinheit können einen Eingriff in diesen absolut geschützten Kernbereich privater Lebensgestaltung nicht rechtfertigen. In diesen Bereich darf die akustische Überwachung von Wohnraum zu Zwecken der Strafverfolgung (Art. 13 Abs. 3 GG) nicht eingreifen. Nicht jede akustische Überwachung von Wohnraum verletzt den Men-schenwürdegehalt des Art. 13 Abs. 1 GG. Führt die auf eine solche Ermächtigung gestützte akustische Wohnraumüberwachung gleichwohl zur Erhebung von Informationen aus dem ab-solut geschützten Kernbereich privater Lebensgestaltung, muss sie abgebrochen werden und Aufzeichnungen müssen gelöscht werden; jede Verwertung solcher Informationen ist ausge-schlossen.
Der Wesensgehalt ist aber nicht mit dem Menschenwürdegehalt eines Grundrechts gleichzu-setzen. Eine mögliche Kongruenz im Einzelfall ändert nichts daran, dass Maßstab für eine verfassungsändernde Grundrechtseinschränkung allein der durch Art. 79 Abs. 3 GG geschütz-te Menschenwürdegehalt eines Grundrechts ist.
Das Bundesverfassungsgericht hat wiederholt betont, dass es mit der Würde des Menschen nicht vereinbar ist, ihn zum bloßen Objekt der Staatsgewalt zu machen. So darf ein Straftäter nicht unter Verletzung seines verfassungsrechtlich geschützten sozialen Wert- und Achtungs-anspruchs behandelt und dadurch zum bloßen Objekt der Verbrechensbekämpfung und Straf-vollstreckung gemacht werden.
Allerdings sind der Leistungskraft der Objektformel auch Grenzen gesetzt. Der Mensch ist nicht selten bloßes Objekt nicht nur der Verhältnisse und der gesellschaftlichen Entwicklung, sondern auch des Rechts, dem er sich zu fügen hat. Die Menschenwürde wird nicht schon dadurch verletzt, dass jemand zum Adressaten von Maßnahmen der Strafverfolgung wird, wohl aber dann, wenn durch die Art der ergriffenen Maßnahme die Subjektqualität des Be-troffenen grundsätzlich in Frage gestellt wird.
Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist nur dort als weitere Einschränkung heranzuziehen, wo eine Abhörmaßnahme die Menschenwürde nicht verletzt.
BVerfGE 115, 118 ff., 2006, Luftsicherheitsgesetz: „Das durch Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ge-währleistete Grundrecht auf Leben steht gemäß Art. 2 Abs. 2 Satz 3 GG unter dem Vorbehalt des Gesetzes (vgl. auch oben unter C I). Das menschliche Leben ist die vitale Basis der Men-schenwürde als tragendem Konstitutionsprinzip und oberster Verfassungswert. Jeder Mensch besitzt als Person diese Würde, ohne Rücksicht auf seine Eigenschaften, seinen körperlichen oder geistigen Zustand, seine Leistungen und seinen sozialen Status“ …„Dies macht sie (sc., die Passagiere) zum Objekt nicht nur der Täter. …“ „Sie sind dem Staat wehr- und hilflos ausgeliefert mit der Folge, dass sie zusammen mit dem Luftfahrzeug gezielt abgeschossen und infolgedessen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit getötet werden. Eine solche Behandlung missachtet die Betroffenen als Subjekte mit Würde und unveräußerlichen Rech-ten“…. „Art. 1 Abs. 1 GG schützt den einzelnen Menschen nicht nur vor Erniedrigung, Brandmarkung, Verfolgung, Ächtung und ähnlichen Handlungen durch Dritte oder durch den Staat selbst. ..„Auch wenn sich im Bereich der Gefahrenabwehr Prognoseunsicherheiten viel-fach nicht gänzlich vermeiden lassen, ist es unter der Geltung des Art. 1 Abs. 1 GG schlech-terdings unvorstellbar, auf der Grundlage einer gesetzlichen Ermächtigung unschuldige Men-schen, die sich wie die Besatzung und die Passagiere eines entführten Luftfahrzeugs in einer für sie hoffnungslosen Lage befinden, gegebenenfalls sogar unter Inkaufnahme solcher Un-wägbarkeiten vorsätzlich zu töten“.
BVerfGE 123, 267 ff, 2009, Lissabon: „Das Sozialstaatsprinzip begründet die Pflicht des Staates, für eine gerechte Sozialordnung zu sorgen“… „Der Staat hat lediglich die Mindestvo-raussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein seiner Bürger zu schaffen“. … „Namentlich die Existenzsicherung des Einzelnen, eine nicht nur im Sozialstaatsprinzip, sondern auch in Art. 1 Abs. 1 GG gegründete Staatsaufgabe, muss weiterhin primäre Auf-gabe der Mitglied-staaten bleiben, auch wenn Koordinierung bis hin zur allmählichen Angleichung nicht ausge-schlossen ist“.
BVerfGE 125, 175 ff., 2010, Hartz IV, Leitsatz 1: „Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozial-staatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG sichert jedem Hilfebedürftigen diejenigen materiellen Voraussetzungen zu, die für seine physische Existenz und für ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben unerlässlich sind“. Leitsatz 2: Dieses Grundrecht aus Art. 1 Abs. 1 GG hat als Gewährleistungsrecht in seiner Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG neben dem absolut wirkenden Anspruch aus Art. 1 Abs. 1 GG auf Ach-tung der Würde jedes Einzelnen eigenständige Bedeutung…Ausländische Staatsangehörige verlieren den Geltungsanspruch als soziale Individuen nicht dadurch, dass sie ihre Heimat verlassen und sich in der Bundesrepublik Deutschland nicht auf Dauer aufhalten“. „Migrati-onspolitische Erwägungen, die Leistungen an Asylbewerber und Flüchtlinge niedrig zu halten, um Anreize für Wanderungsbewegungen durch ein im internationalen Vergleich eventuell hohes Leistungsniveau zu vermeiden, rechtfertigen von vornherein kein Absenken des Leis-tungsstandards unter das physische und soziokulturelle Existenzminimum“. „Die in Art. 1 Abs. 1 GG garantierte Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht zu relativieren“. „Der un-mittelbar verfassungsrechtliche Leistungsanspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdi-gen Existenzminimums erstreckt sich nur auf diejenigen Mittel, die zur Aufrechterhaltung ei-nes menschenwürdigen Daseins unbedingt erforderlich sind. Er gewährleistet das gesamte Existenzminimum durch eine einheitliche grundrechtliche Garantie, die sowohl die physische Existenz des Menschen, also Nahrung, Kleidung, Hausrat, Unterkunft, Heizung, Hygiene und Gesundheit, als auch die Sicherung der Möglichkeit zur Pflege zwischenmenschlicher Bezie-hungen und zu einem Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politi-schen Leben umfasst, denn der Mensch als Person existiert notwendig in sozialen Bezügen.“
BVerfGE 132, 134 ff., 2012, Asylbewerberleistungsgesetz: „Das Grundrecht auf Gewähr-leistung eines menschenwürdigen Existenzminimums ergibt sich aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG. Art. 1 Abs. 1 GG begründet diesen Anspruch als Men-schenrecht. Das Sozialstaatsgebot des Art. 20 Abs. 1GG wiederum erteilt dem Gesetz-geber den Auftrag, ein menschenwürdiges Existenzminimum zu sichern“…„Als Menschenrecht steht dieses Grundrecht deutschen und ausländischen Staatsangehörigen, die sich in der Bun-desrepublik Deutschland aufhalten, gleichermaßen zu. Dieser objektiven Verpflichtung aus Art. 1 Abs. 1 GG korrespondiert ein individueller Leistungsanspruch, da das Grundrecht die Würde jedes einzelnen Menschen schützt und sie in solchen Notlagen nur durch materielle Unterstützung gesichert werden kann. Der unmittelbar verfassungsrechtliche Leistungsan-spruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums“ … „gewährleistet das gesamte Existenzminimum durch eine einheitliche grundrechtliche Garantie, die sowohl die physische Existenz des Menschen, also Nahrung, Kleidung, Hausrat, Unterkunft, Heizung, Hygiene und Gesundheit, als auch die Sicherung der Möglichkeit zur Pflege zwischenmensch-licher Beziehungen und zu einem Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben umfasst, denn der Mensch als Person existiert notwendig in sozialen Bezügen“. „Die Gewährleitung eines menschenwürdigen Existenzminimums muss durch einen gesetzlichen Anspruch gesichert sein.
BVerfGE 161, 299 ff., Beschluß vom 27. April 2022, Impfnachweis Covid-19: „Eine mögli-che Verletzung der durch Art. 1 Abs. 1 Satz 1 GG geschützten Menschenwürde ist nicht auf-gezeigt. Die Beschwerdeführenden legen nicht nachvollziehbar dar, weshalb die Nachweis-pflicht sie zum bloßen Objekt des Schutzes vulnerabler Personen machen sollte, obwohl keine mit Zwangsmitteln durchsetzbare Impfpflicht besteht und es darum geht, ein gerade von ihnen ausgehendes Risiko der Übertragung von Infektionen auf vulnerable Personen zu ver-meiden.“ „Eine Verletzung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs.1 GG) aufgrund der von § 20a Abs. 2 Satz 2, Abs. 4 Satz 2 IfSG vorgesehenen Übermittlung von personenbezogenen Daten der Beschwerdeführenden an das Gesundheitsamt wird ebenfalls nicht substantiiert dargelegt“.
BVerfG, Beschluss v. 23. September 2024 – 1 BvL 9/21, Existenzsicherung: „Der Anspruch auf existenzsichernde Leistungen nach Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaats-prinzip (Art. 20 Abs. 1 GG) sichert die menschenwürdige Existenz derjenigen, die hierzu selbst nicht in der Lage sind, und ist auf die dazu unbedingt notwendigen Mittel beschränkt. Er besteht nicht, wenn diese Bedürftigkeit etwa durch Aufnahme einer existenzsichernden Erwerbstätig-keit beendet oder vermieden werden kann, auch wenn dann die Ausübung be-stimmter grund-rechtlicher Freiheiten wie die nach Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Durchfüh-rung eines Hoch-schulstudiums nicht möglich sein sollte“.
Die Zitate erscheinen mir notwendig, um die Umwälzung der grundgesetzlichen Ordnung Deutschlands durch die Materialisierung des Begriffs der Menschenwürde vor Augen zu füh-ren. Die Zitate sind um der Kürze willen vielfach nur Teile der umfangreicheren Texte und der längeren Sätze der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts. Die Hinweise des Ge-richts selbst auf frühere Begründungssätze und die Randnummern, zu denen die Zitate stehen, habe ich weggelassen.
KAS: Die Würde des Menschen ist nach Art. 1 Abs. 1 S. 1 GG unantastbar. Dieses Leitprin-zip des Grundgesetzes vermag keine subjektive Rechte zu begründen . Absatz 3 des Art. 1 GG spricht von den „nachfolgenden Grundrechten“, die „Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht binden“. „Verpflichtung aller staatlichen Gewalt ist, die Würde des Menschen zu achten und zu schützen (Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG). „Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt“ (Absatz 2 des Art. 1 GG). Das Würdeprinzip gehört nach diesen Sätzen des Grundge-set-zes erklärtermaßen nicht zu den Grundrechten. Die Würde des Menschen ist ein funda-mentales Prinzip, das die staatliche Gewalt Deutschland, also den Staat der Deutschen, leiten soll (i. d. S. BVerfGE 5, 85 (209)
Gut zwei Jahrzehnte hat das Bundesverfassungsgericht es mit dem Argument, Sozialpolitik sei wegen des Demokratieprinzips Sache des Gesetzgebers (BVerfGE 59, 231, Rn. 68; 82, 60, Rn. 88; 100, 271 Rn. 59; 110, 412, Rn. 96), abgelehnt, aus dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG (Ich spreche vom Sozialprinzip ) verteilungsrechtliche Rechtssätze oder gar Rechtsansprüche abzuleiten (BVerfG ebenda), zu Recht, allein schon wegen der mit der Sozi-alpolitik verbundenen Kosten und damit steuerlichen und fiskalischen Entscheidungen. Es hat jedoch schon früh erklärt, daß der Staat „für eine gerechte Sozialordnung zu sorgen“ (vgl. BVerfGE 59, 231, Rn. 68; 100, 271, Rn. 59). Dem Staat hat das Gericht einen weiten Gestal-tungsspielraum zugemessen, um diese Aufgabe zu erfüllen. Den hat es mit seiner Würde-judikatur mehr und mehr eingeengt.
Seit 1970 wurde der Menschenwürdeschutz zur Verfassungsgrundlage für die verschiedens-ten Politiken aktiviert, für die auch die Schutzpflicht, die das Bundesverfassungsgericht (fragwürdig ) aus den Grundrechten hergeleitet hat, zur Verfügung standen und stehen. Ins-besondere haben die Grundrechte Gesetzesvorbehalte, die der Politik Gestaltungsmöglichkei-ten lassen. Das Bundesverfassungsgericht schafft mittels seiner Materialisierung des Men-schenwürdeprinzips ohne textliche Grundlage im Grundgesetz Verfassungsgesetze. Der Be-griff der Würde des Menschen ist ganz im Sinne Kants die „Idee der Freiheit“ des Menschen. Die Väter des Grundgesetzes haben dem Grundgesetz die Ethik der Stoa zu Grunde gelegt , die Zenon von Kition, 300 ante Christum natum begründet hat und nach vielen andere Auto-ren des Hellenismus wirkungsvoll der späte Stoiker Cicero (106 bis 43 a. Ch. n. De officiis. Vom pflichtgemäßen Handeln (Reclam) 44 a. Ch. n., gelehrt hat. Ciceros Maximen sind pru-dentia iustitia, fortitudo, temperantia. Das Recht zur freien Entfaltung der Persönlichkeit, die Freiheit also, ist u. a. durch die Grenze des Sittengesetzes definiert; das sind nicht die guten Sitten (so aber BVerfGE 6, 389 (434 ff.); 49, 286 (299) . Die freiheitliche Ethik des Grundge-setzes ist nicht liberalistisch, sondern republikanisch . Das Sittengesetz ist der kategorische Imperativ Kants. Dieser in der Philosophie unangefochtene Begriff des Sittengesetzes ist nur mit einem formalen Würdebegriff vereinbar, der die Würde des Menschen darin sieht, daß er unter dem eigenen Gesetz lebt, das zugleich das Gesetz all derer ist, die mit ihm in einen Staat zusammenleben (Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 64 ff., 67, 69 ). Das all-gemeine Gesetz verwirklicht als volonté générale den Allgemeinwillen, das Recht. Ohne Frei-heitslehre gibt es keine Bürgerlehre, keine Republiklehre und keine demokratische Souveräni-tätslehre . Die Souveränität gibt dem Bürger das Recht auf Recht.
Das folgt auch aus dem Willensbegriff des Grundgesetzes (dazu 3). Das Sittengesetz ist der Schlüsselbegriff des Grundgesetzes, gegen den die fundamentale Entscheidung des Grundge-setzes für die Freiheit unverständlich ist (dazu auch 2).
Das Bundesverfassungsgericht materialisiert demgegenüber, wie gesagt, den Begriff der Würde des Menschen. Das führt zu einer gänzlich anderen Verfassung Deutschlands als die des Grund-gesetzes. Die politische Freiheit ist aufgegeben. ‚Bürger‘ ist der mit begrenzten, verfassungs-rangigen Rechten ausgestattete Untertan. Seine Obrigkeit ist die Parteienoligar-chie, zu der das Bundesverfassungsgericht gehört. Das erweist sich in der ständigen Praxis des Gerichts. Mein Vortrag in vielen Verfassungsprozessen, Rechte des Bürgers auf seine politi-sche Freiheit zu stützen, ist stetig zurückgewiesen worden, zum Schaden Deutschlands. Insbe-sondere ist deswegen meine Verfassungsbeschwerde gegen die Grenzöffnung vom 5. Sep-tember 2015 nicht zur Entscheidung angenommen worden. Das hat dazu beigetragen, den Weg in den Niedergang Deutschlands zu ebnen.
Das Gericht hat sich mittels der Materialisierung zum Verfassungsgeber Deutschlands aufge-schwungen. Seine Rechtssätze, die es als Gebote oder Verbote der unantastbaren Würde des Menschen praktiziert, haben unabweisbar Verfassungsrang; denn weder der Gesetzgeber, noch die vollziehende Gewalt noch die Rechtsprechung, darf diese ‚Erkenntnisse‘ mißachten (Art. 1 S. 2 GG), auch das Bundesverfassungsgericht nicht, soweit diese Erkenntnisse nicht derart offen formuliert sind, daß sie modifizierte Interpretationen der Würde des Menschen zulassen. Diese Rechtslage wird zusätzlich verbösert, wenn § 31 BVerfGG in des Grundge-setz übernommen wird, weil Sätze des Grundgesetzes wegen der Einheit der Verfassung nicht an der Würde des Grundgesetzes gemessen werden. Das Bundesverfassungsgericht stellt die Richtigkeit seiner Erkenntnisse nur mit großer Zurückhaltung in Frage. Praktisch gelten diese Erkenntnisse, solange der Zeitgeist sich nicht geändert hat, der freilich vom Bundesverfas-sungsgericht erheblich beeinflußt wird. Zusätzlich sind die Verbote und Gebote, die in den die „Verfassungsorgane des Bundes und der Länder bindenden Entscheidungen des Bundes-verfassungsgerichts (§ 31 Abs. 1 GG) in Art. 1 Abs. 1 S. 1 GG) vom Bundesverfassungsge-richt als Würde des Menschen ‚erkannt‘ werden, trotz Art. 79 Abs. 1 GG wegen Art. 79 Abs. 3 GG unabänderlich. Die Materialisierung des Begriffs der Würde des Menschen entmachtet alle Staatsorgane Deutschlands außer dem Gericht selbst. Deutschland ist entdemokratisiert und damit seine Rechtsstaatlichkeit verloren. Das Bundesverfassungsgericht hat den Volks-staat (Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG) in einem langsam fortschreitenden ‚Umsturz‘ zu einen Richter-staat gemacht. Die Deutschen sind nicht mehr Herr ihrer Verfassung, geschweige denn ihrer Gesetze. Sie sind „Objekte“ der Richter des Bundes-verfassungsgerichts, nicht wie es der Würde des Menschen genügt, Subjekte ihrer Gesetze. Sie sind nicht mehr die Souveräne ihres Staates.
Es geht darum, wer die Politik bestimmt, der Gesetzgeber, demokratisch vom Volk legitimiert, oder das Bundesverfassungsgericht im ‘Namen’ der Würde des Menschen, wenn auch im Re-gelfall eng an die Gesetze angelehnt. Das Volk läßt seine richterliche Staatsgewalt auch vom Bundesverfassungsgericht ausüben (Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG, Art. 93 GG). Das bedeutet nicht, daß es nicht vom Gesetzgeber die Gesetze geben lassen will, sondern von Richtern, wenn auch vom Bundesverfassungsgericht. Das widerspäche Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG und Art. 70 ff. GG. Die Befugnis zur Selbstermächtigung des Bundesverfassungsgerichts steht nicht in Art. 1 Abs. 1 S. 1 GG.
Die Materialisierung des Würdebegriffs bindet in Sätzen, als seien diese Rechtsätze, die Bür-gerschaft und deren Staat unabänderlich, solange die Deutschen sich nicht eine neue Verfas-sung gegeben haben. Das wird kommen, aber aus einem anderen Grund als der fehlgeleiteten Judikatur des Bundesverfassungsgericht, nämlich durch die Islamisierung Deutschlands; denn der „Islam gehört zu Deutschland“, wie es nach dem Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble der Bundespräsident Christian Wulff und die Bundekanzlerin Merkel ‚klargestellt‘ haben – schon jetzt. Wenn die Muslime die Macht in Deutschland haben werden, durch Ein-bürgerung, werden sie eine neue Verfassung durchsetzen, wie das in anderen Staaten schon geschehen ist, in Deutschland schlicht durch Abstimmungen, wie diese Art. 20 Abs. 1 S. 2 GG vorsieht.
Die Würde des Menschen ist das Fundamentalprinzip des Grundgesetzes, aber kein Grund-recht, das den Menschen in Deutschland Rechte einzuräumen und Pflichten aufzuerlegen vermag. Das stellen Art. 1 Abs. 2 und Abs. 3 GG mit aller Klarheit fest. Die Judikatur hat sich mittels der kulturfernen Materialisierung des Begriffs der Menschenwürde nicht nur zum Herren über Deutschland gemacht, sondern das Grundgesetz, die Verfassung der Bundesre-publik Deutschland gänzlich von deren Texten gelöst. Kein Rechtssatz des Grundgesetzes entfaltet noch seine von den Vätern der Verfassung bezweckte republikanische, nämlich frei-heitliche, rechtsstaatliche und demokratische Verbindlichkeit. Die Kluft zwischen dem Grundgesetz und der Verfassungswirklichkeit ist unüberbrückbar. Ein Zurück zu einer „frei-heitlichen demokratischen Grundordnung“, wie sie 1949 durch das Grundgesetz verfaßt wor-den ist, verlangt nach einer neuen Verfassung, welche die Deutschen sich geben. Textliche Änderungen des Grundgesetzes genügen dafür nicht, weil die Auslegung des Grundgesetzes, auch die Materialisierung des Menschenwürdeprinzips, nach der insofern ‚logischen‘ Dogma-tik des Bundesverfassungsgerichts die Verfassung selbst ist.
Die Würde des Menschen ist seine Freiheit, unter, wie oben zitiert, dem eigenen Gesetz zu leben, sein eigener Herr zu sein, sui iuris (Kant, MdS, S. 345), „unter dem eigenen Gesetz zu leben“ (GzMdS, S. 67). nicht der Untertan von ‚Verfassungsrichtern‘. die die von Parteien beherrschten Legislativorgane in das Verfassungsgericht gewählt haben. Eine Judikatur, die nicht an Gesetze gebunden ist, ist mit den Prinzipien eines freiheitlichen Rechtstaates unver-einbar (Art. 97 Abs. 1 GG). Die Bürger sind durch das Bundesverfassungsgericht entmündigt. Das Gericht hat das wesentliche Prinzip rechtstaatlicher Rechtsprechung verkannt, die Bin-dung der Richter an die Gesetzes. Nur diese Bindung rechtfertigt die Unabhängigkeit der Richter. Die Bindung an die Gesetze setzt aber deren Bestimmtheit voraus. Das ist jedoch der Begriff der Menschenwürde durch nichts. Der Begriff der Würde des Menschen benennt die Kultur eines aufklärerischen Gemeinwesens. Die aber läßt sich schlechterdings nicht judizie-ren. Ihr fehlt jede Subsumibilität. Anstelle des Wortes Würde des Menschen hätten die Väter der Verfassung auch formulieren können: Der Wille Gottes ist unantastbar. Der Rat der Ho-henpriester stellt diesen fest. Er ist unfehlbar wie der Pabst (Erstes Vatikanisches Konzil, 1870). Aber der Staat ist nicht die Kirche, sondern säkularisiert.
Wenn durch eine Verfassungsänderung § 31 Abs. 1 BVerfGG, der den Judikaten des Bun-des-verfassungsgerichts Bindungswirkung für alle zuspricht, in das Grundgesetz eingefügt wird, wissen Regierung und die Legislative, der Bundestag und der Bundesrat nicht, was sie tun. Sie sind von der rechtswissenschaftlichen Irrtümer des Bundesverfassungsgerichts geb-len-det. Auch das ist eine Folge die ‚Bildungskatastrophe‘ in Deutschland.
Die Materialisierung des Menschenwürdebegriffs ist nolens volens Machtusurpation. Sie war in keiner Weise nötig, um die ‚Politik‘ durchzusetzen, der sich das Bundesverfassungsgericht durch den Zeitgeist verpflichtet gefühlt haben dürfte. Die ‚Richtersprüche‘ hätten durchge-hend auf die Grundrechte gestützt werden können, die im Grundgesetz stehen. Wenn der Gesetzgeber diese auf Grund des Gesetzesvorbehalts allzu sehr eingeschränkt hätte, hätte die Wesensgehaltsgarantie des Art. 19 Abs. 2 GG genügt, um den Gesetzgeber zu disziplinieren. Abwägungen zwischen der Abwehr- und der Schutzwirkung der ohnehin nur wenig bestimm-ten Grundrechte . und Verhältnismäßigkeitsprüfungen, die das Bundesverfassungsgericht stetig praktiziert, geben jedwede Möglichkeit, den Gegebenheiten der Lage grundrechtlich gerecht zu werden.
Alle Grundrechte sind Menschenrechte, wie die Absätze 2 und 3 des Art. 1 GG erweisen. Hinzu kommt die Praktizierung des Rechtsprinzips an und für sich, das Prinzip des rechten Maßes, das in der Judikatur des Bundesverfassungsgerichts alle Rechtssätze überlagert , seien diese textlos der Unantastbarkeit der Würde des Menschen entnommen oder den Grund-rechtstexten. Ohnehin gilt der Satz von Chief-Justice Charles Evans Hughes 1905 (oder 1907):
„We are under a Constitution, but the Constitution is what the judges say it is, and the judiciary is the safeguard of our property and our liberty and our property under the Constitution“.
Die oben zitierten Sätze aus der Judikatur des Bundesverfassungsgerichts machen das deut-lich: Das Grundrecht auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit des Art. 2 Abs. 1 GG bedarf entge-gen BVerfGE 27, 1 ff. (Mikrozensus) und BVerfGE 30, 98 ff. (Mephisto) keiner Stär-kung seines Verfassungsranges durch Art. 1 Abs. 1 S. 1 GG, die Unantastbarkeit der Würde des Menschen. Das Grundrecht hat seine Grenzen in Satz 2: „die Rechte anderer, die verfas-sungsmäßige Ordnung und das Sittengesetz“. Das Gericht hat das Grundrecht ohnehin den politischen Bedürfnissen so angepaßt, wie es das für richtig hält. Der Gesetzgeber hätte ohne diese Judikatur die ihm aufgegebene Gestaltungsaufgabe, der Lage gerecht zu werden. Das muß und darf das Bundesverfassungsgericht ihm nicht abnehmen. Es verletzt damit insbeson-dere die Gewaltenteilung. Das Grundrecht des Art. 5 Abs. 1 GG, seine Meinung frei zu äu-ßern… und dessen Schranken geben hinreichenden Schutz für die menschengemäße Kommu-nikation. Die „allgemeinen Gesetze“ (Satz 2) muß und darf nicht das Bundesverfassungsge-richt geben, wie im Abhörurteil (BVerfGE 30, 1 ff.). Das ist wiederum Sache des Gesetzge-bers. Das Gericht hat zu prüfen, ob die Gesetze die Meinungsäußerungsfreiheit, die Presse-freiheit und die Freiheit der Berichterstattung sachgerecht und ohne die Freiheit zu mißachten einschränken. Das Gericht löst sich mit seiner Menschenwürdejudikatur von den textlichen Grenzen des Grundrechtes, ohne daß das einen materieller Freiheitsgewinn bringt oder gar die Würde des Menschen stärkt. Die Judikatur wird ohnehin von der jeweiligen Sachlage und den politischen Erwägungen bestimmt, welche Texte auch immer zugrunde gelegt werden. Die Religionsgrundrechte des Art. 4 GG genügen allemal, um Religiosität und religiöses Handeln zu regeln (BVerfGE 32, 98 ff., Gesundbeter; BVerfGE 33, 23 ff., Eidesverweigerung; BVer-fGE 52, 223 ff., Glaubensfreiheit). Die „ungestörte Religionsausübung“ (Art. 4 Abs. 2 GG) unterliegt ohnehin einem Gesetzesvorbehalt (Art. 140 GG in Verb. mit Art 136 Abs. 1 WRV . Der Schutz der Religiosität durch Art. 1 Abs. 1 S. 1 GG macht nicht nur, wenn deren Unan-tastbarkeit ernst genommen wird, die Abwehr der Islamisierung so gut wie unmöglich. Der Würdeschütz wird darüber hinaus gar nicht erst ernst genommen, sondern nach Bedarf relati-viert, auch und insbesondere durch Abwägungen mit anderen Grundrechten, denen Men-schenwürderang zugesprochen wurde. Art. 13 GG erklärt die Wohnung für unverletzlich. Die-ses Grundrecht schützt das Leben in der Wohnung hinreichend vor dessen Überwachung mit technischen Vorrichtungen. Dennoch hat das Bundesverfassungsgericht die unantastbare Würde des Menschen aktiviert (BVerfGE 109, 279 ff., 2004, Großer Lauschangriff), um dem Staat Vorschriften für Überwachung zu geben. Das Gericht hat für denkbar viele Fallgestal-tungen von Überwachungen die Schutzansprüche und deren Grenzen dekretiert, als hätte ein Ministerialbeamter eine Vorlage für ein Überwachungsgesetz ausgearbeitet. Wenn Vorschrif-ten für Überwachungsmaßnahmen fehlen oder zu weit gehen, kann das Bundesverfassungsge-richt deren Grundrechtswidrigkeit an Hand der in Art. 13 GG geschützten Unverletzlichkeit der Wohnung feststellen, allemal an dem Wesensgehalt dieses Grundrechts. Die Gesetzge-bung hat das Gericht dem Gesetzgeber zu überlassen. Den Schutz des Lebens und der körper-lichen Unversehrtheit gibt das Grundrecht des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG (BVerfGE 39, 1 ff., Schwangerschaftsabbruch; BVerfGE 115, 118 ff., Luftsicherheitsgesetz; BVerfGE 161, 299 ff., Impfnachweis Covid-19). Der Schutz des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit ist ein elementares Menschenrecht (Art. 3 AEMR und Art. 6 Abs. 1 IPBPR). Der Gesetzesvor-behalt des Satzes 3 ist dennoch für die Grundrechte des Art. 2 Abs. 2 S. 1 und 2 GG nicht verzichtbar. Würden Leben und körperliche Unversehrtheit zur Würde des Menschen gehören, mußte diese entgegen Art. 1 Abs. 1 S. 1 GG angetastet werden, wenn die Rechtsordnung lebensgerecht sein soll. Die Verteidigung des Landes müßte unterbleiben. Die unantastbare Würde des Menschen läßt keinen Gesetzesvorbehalt zu. Es geht wiederum darum, wer die Politik bestimmt, der Gesetzgeber oder das Bundesverfassungsgericht. Die Eigentumsgewähr-leistung des Art. 14 Abs. 1 GG schützt auch gegen nicht tragbare Besteuerung (BVerfGE 80, 60 ff., 1990, Steuerfreies Mindesteinkommen). Besteuerung verletzt die Würde des Menschen nicht. Steuerpflichten machen Menschen allenfalls zu Sklaven, wenn sie nur noch für die Fi-nanzierung des Staates arbeiten und dadurch nicht mehr Herr ihrer selbst sind. Sklaverei und Leibeigenschaft verbieten auch Art. 4 AEMR und Art. 8 IPBPR. Die Existenzsicherung (BVerf-GE 123, 267 ff, Lissabon-Urteil; BVerfGE 125, 175 ff., Hartz IV; BVerfGE 132, 134 ff., Asylbewerberleistungsgesetz; BVerfG, Beschluss v. 23.09.2024, Arbeitsverweige-rung), ist Lebenssicherung. Diese bedarf des Würdeschutzes aus Art. 1 Abs. S. 1 GG nicht. Sie findet eine hinrei-chende Rechtsgrundlage in dem Recht auf Leben und körperliche Un-versehrtheit des Art. 2 Abs. 2, S. 1 GG. Zur Existenzsicherung sind nach BVerfGE 132, 134 ff. Rn. 104 „die Werte für die sich aus den Sonderauswertungen für den Regelbedarf nach §§ 5 bis 7 RBEG ergebenden regelbedarfsrelevanten Verbrauchsausgaben für die Abteilungen 1 (Nahrungsmittel, alkoholfreie Getränke), 3 (Bekleidung und Schuhe), 4 (Wohnen, Energie und Wohnungsinstandhaltung) und 6 (Gesundheitspflege) zu berücksichtigen.“ Das Existenzmi-nimum bemißt sich nach den Sozialleistungen, die in Deutschland bedürftigen Menschen ge-währt werden müssen (Bürgergeld, Grundsicherung für Arbeitsuchende, §§ 19 ff SGB II).
Das Bundesverfassungsgericht hat dem Gesetzgeber kleinteilige Vorschriften gemacht (BVer-fGE 125, 175 ff., 2010, Rdn. 132 ff.) und in der Sache die Gesetzgebung selbst übernommen.
Sozialleistungen können auf das Sozialstaatsprinzip, besser Sozialprinzip, des Art. 20 Abs. 1 GG gestützt werden und müssen vom Gesetzgeber geregelt werden. So hat das auch des Bundesverfassungsgericht, wie schon angesprochen, wegen des Demokratieprinzips Jahrzehn-te lang praktiziert (BVerfGE 59, 231, Rn. 68; 82, 60, Rn. 88; 100, 271 Rn. 59; 110, 412, Rn. 96). Die Regelungen müssen sachgerecht sein und können fraglos danach unterschieden wer-den, ob der Schutzbedürftige ein Inländer oder ein Ausländer ist, der verpflichtet ist, das Land zu verlassen. Alle Länder dieser Welt außer Deutschland unterscheiden zwischen Le-benssicherung und Sozialleistungen. Die illegalen Zuwanderer überweisen eine Großteil ihres ‚Bürgergeldes‘ an ihre Familien im Heimatland. Sie benötigen augenscheinlich diese Zahlun-gen für die Sicherung ihrer Existenz nicht. Auch in all den Ländern mit einer vernunftgeleite-ten Praxis sterben die ‚Flüchtlinge‘, die sogenannten Asylbewerber, nicht, sondern leben in den Einrichtungen, die ihnen der Aufenthaltsstaat bereitstellt. Die Zuwanderer sind nun ein-mal keine Bürger, solange ihnen nicht die Staatsangehörigkeit Deutschlands zugesprochen worden ist. Die Sogwirkung der übermäßigen Sozialleitungen für die Zuwanderer, deren ille-galer Grenzübertritt so gut nichts entgegengestellt wird, gefährdet augenscheinlich die Exis-tenz Deutschlands. Diese Politik mißachtet den wesentlichen Zweck eines Staates, die Si-cherheit des Volkes im Innern und nach außen. Sie ist Ausdruck der Dekadenz eines unterge-henden Gemeinwesens, wie das auch vom Untergang Römischen Imperiums in der Spätantike berichtet wird.
Die Rechtsprechung hätte die ‚Politik’ auch in ihre Schranken weisen können, ohne sich zum Gesetzgeber aufzuschwingen. Die Grundrechte ziehen der Politik Grenzen. Die Grundrechte sind Rechte und haben einen hinreichend bestimmten Text, der den Gerichten eine juridische Anwendung erlaubt, um den Gesetzgeber in seine Schranken zu verweisen, aber nicht durch gänzliche Unbestimmtheit die Gerichtsbarkeit geradezu zur Gesetzgebung zwingt, wie die Materialisierung des Menschenwürdebegriffs, der keine näher entfaltbare Weisung an den Gesetzgeber bereithält. Sachlichkeit richtet sich gegen Willkür, aber welche Sache gebietet ein Verfassungsbegriff ohne materiale Sachaussage? Die Würde des Menschen gebietet eine Form der Materialisierung, die Gesetzgebung des Volkes. Die Grundrechte dürfen nach Art. 19 Abs. 2 GG nicht in ihrem Wesensgehalt angetastet werden. Das verlangt einen materiellen Gegenstand, wie er auch den Grundrechtstexten abgewonnen werden kann. Als verfassungs-rechtlicher Sollenssatz ermöglicht die Unantastbarkeit der Würde des Menschen dem Bundes-verfassungsgericht, jedwede zeitgeistliche Empörung als Verletzung der Würde des Menschen zu verfassungsrangiger Rechtsetzung zu nutzen. Mit Rechtsprechung hat das nichts zu tun. Verfassungsändernde Gesetze und eine Änderung der Verfassungsrechtsprechung hätten Fehlentwicklungen korrigieren können. Zeitgeistlicher Eifer hat die Verfassungsrichter ver-führt, selbst die Rechtsetzung in die Hand zu nehmen, sogar mit unabänderlichem Verfas-sungsrang. Ein Verfassungsstaat bedarf eines Verfassungsgerichts. Aber ein solches muß die Tugend von Richtern haben, die fraglose Unparteilichkeit. Das schließt eine Mitgliedschaft in politischen Parteien aus. Die ‚Bescheidenheit‘, sich den Gesetzen zu unterwerfen, wie das Art. 97 Abs. 1 GG den Richtern vorschreibt, hätte Deutschland vor dieser ,möglicherweise unge-wollten, Machtergreifung bewahrt. Aber Bescheidenheit ist nicht die Tugend von Parteifunk-tionären, die alle Verfassungsrichter waren und noch sind.
Die Folge der sozialpolitischen Materialisierung des Würdebegriffs und dessen Funktionali-sierung zu einem subjektiven Recht auf Sozialleistungen führt wegen deren finanziellen Sog-wirkung auf Zuwanderer zum unerbittlichen Niedergang Deutschlands. Ein Anspruch darauf, leben zu können, folgt für die Zuwanderer, solange sie, wenn auch illegal, im Land sind, aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG. Unterlassen des Staates, das Leben jedermanns zu erhalten, ist eine (pflichtwidrige) Verletzung des Rechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit. In dieses Recht darf nach S. 3 des Art. 2 Abs. 2 GG durch ein Gesetz eingegriffen werden. Es ist somit nicht als Materie der Menschenwürde unantastbar. Das ‚Bürgergeld‘ geht weit über den Le-bensbedarf hinaus. Die gleichheitsrechtlichen Diskriminierungsverbote des Art. 3 Abs. 3 GG stehen einer unterschiedlichen Versorgung der Bürger Deutschlands und der Zuwanderer nicht entgegen. Die unterschiedliche Behandlung ist keine Diskriminierung, weil die Zuwan-derer das Land zu verlassen haben. Sie sind nur geduldet . Das Unterlassen, die Grenzen gegen unberechtigte Zuwanderung zu schützen und die Abschiebung trotz Art. 16 a Abs. 2 GG durch die Abschiebungsverbote des § 60 Aufenthaltsgesetz und deren Praxis so gut wie unmöglich zu machen , gefährdet die innere Sicherheit und die wirtschaftliche Leistungsfä-higkeit Deutschlands existentiell.
Weiterhin: BVerfGE 160, 336 ff., 2022, Impfpflicht in bestimmten Einrichtungen und Unter-nehmen: Im Eilverfahrensbeschluß vom 10. Februar 2022 hat der Erste Senat seine Dogmatik zum Lebensschutz als Unantastbarkeit der Menschenwürde zu Rn. 19 nicht herangezogen, die er im Fall der Luftverkehrssicherheit von 15. Februar 2006 mit dogmatischer Konsequenz zur Geltung gebracht hat. 2006 hat er zu Lasten des Lebens der weitaus größeren Zahl von Men-schen entschieden, weil die Tötung auch einer geringeren Zahl von Menschen durch die Bun-deswehr, also den Staat, durch Art. 1 Abs. 1 S. 1 GG ausnahmslos verboten sei. Im Beschluß vom 10. Februar 2022 hat der Senat die Pflicht des Staates, das Leben der einen zu schützen, dem Verbot, das Leben der anderen zu opfern, vorgezogen, weil die Gruppe der Ersteren weitaus größer sei als die der zweiten Gruppe. Beide Gruppen sind in ihrer körperlichen Un-versehrtheit und ihrem Leben gefährdet. Die erste Gruppe hat der Staat vor der Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2, die Gesundheit und Leben zu gefährden vermag, zu schützen vorgezogen. Mitglieder der zweiten Gruppe können durch den Impfzwang, den der Staat mit der Impfpflicht bewirkt, auch Gesundheit und Leben verlieren .
Das Gericht bevorzugt die Vielen gegenüber den Wenigen, obwohl Schaden für Leben und Gesundheit jedes einzelnen Mitgliedes beider Gruppen möglich ist. Allerdings bezieht der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts in seine Abwägung auch ein, daß die erste Gruppe durch Alter, Krankheit usw. stärker gefährdet sei als die zweite Gruppe aus jüngeren Men-schen im Arbeitsleben, aber auch die hohe Infektionsgefahr durch das Coronavirus SARS-CoV-2 gegen-über der äußerst seltenen Gefahr der Impfung. BVerfGE 160, 336 ff., 1 Rn. 23:
„Der sehr geringen Wahrscheinlichkeit von gravierenden Folgen einer Impfung steht die deutlich höhere Wahrscheinlichkeit einer Beschädigung von Leib und Leben vulnerabler Menschen gegenüber“.
Diese Abwägung ist jedenfalls und rechtlich nicht nachvollziehbar. Der Senat löst sich von der langjährigen Judikatur zum Lebens- und Gesundheitsschutz durch die Unantastbarkeit der Menschenwürde und der Unantastbarkeit des Wesensgehalts der Grundrechte. Jeder Mensch hat jedoch das Recht zu leben und auch das Recht auf körperliche Unversehrtheit, jeweils als seine Grundrechte in deren unantastbaren Wesensgehalt geschützt. Im Übrigen genügen die auf die Grundrechte gestützten Schutzpflichten des Staates . Das Verbot, daß der Staat auch nur einen Menschen tötet, um das Leben vieler Menschen zu retten, das das Bundesverfas-sungsgericht in dem Urteil zum Luftsicherheitsgesetz, BVerfGE 115, 118 ff., 2006 festgestellt hat, hat das Gericht Hauptsachebeschluß vom 27. April 2022 (BVerfGE 161, 299 ff.) zum Impfnachweis Covid-19 in das Gegenteil verkehrt und dem Leben der Vielen, deren Leben ohne die allgemeine Impfpflicht als gefährdet angesehen wurde, gegenüber dem Leben der Wenigen, die wegen Impfdurchbrüchen zu Tode kommen konnten, den Vorzug gegeben. Die größere Lebensgefahr für die vulnerablen Menschen durch Infektion von nicht geimpften Menschen ist allemal größer als die durch die Impfung, wie das der Senat zu Rdn, 228 ff. des Beschusses ausführt. Aber es gibt auch Impf-durchbrüche und Erkrankungen an Long Covid, die Menschen das Leben oder die Gesundheit kosten können . Freiwilligen Impfungen hätten dem Staat den Vorwurf der Verletzung des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG erspart. Zu vermerken ist jedoch auch, daß diese Rechtslage in der Öffentlichkeit nicht so gut wie nicht bekanntge-macht wurde. Ohne Impfpflicht sind im Übrigen auch nicht mehr Menschen gestorben als mit Impfpflicht, wie die Praxis Schwedens erwiesen hat. Aber das Judikat war zeitgeistgemäß und entsprach der perennierenden Propaganda das Staates. Es war sicher nicht den Geschäfts-interessen der Pharmaunternehmen geschuldet.
Dem Bundesverfassungsgericht scheint es klar geworden zu sein, daß es den Fehlgriff, die Unantastbarkeit der Würde des Menschen entgegen dem Text des Art. 1 GG und trotz der gänz-lichen Unbestimmtheit dieses ethischen Fundamentalprinzips als Grundrecht zu prakti-zieren, zu weit geht.
Außerdem: Fast durchgehend hat das Bundesverfassungsgericht den Grundrechtsschutz auf den „Kern“ der Grundrechte reduziert, was immer das sei. Einen Rechtsbegriff des ‚Kerns‘ gibt es nicht.
So hat das Gericht den Schutz des Rechts an der eigenen Persönlichkeit durch Art. 1 Abs. 1 S. 1 GG auf dessen unbedingt schutzbedürftigen und darum unantastbaren Kern der Men-schen-würde beschränkt (st. Rsp. ).
2. Freiheit oder Herrschaft (Art. 1 Art. 1 GG und Art. 2 Abs. 1 GG)
Kant: Die Freiheit ist das „einzige, ursprüngliche“, „jedem Menschen, kraft seiner Menschheit, zustehende Recht“, ein „angeborenes Recht“ (MdS, S. 345 f.). Freiheit, auf der alles Recht gründet und welche durch Gesetze des Rechts Wirklichkeit findet, ist ein Begriff der reinen Vernunft einer transzendentalen (die Erfahrung übersteigende) Idee der Freiheit, der Kausali-tät einer „absoluten Spontaneität der Ursachen (KrV, S. 488 ff. ). Die Freiheit ist nur eine Idee der Vernunft, deren objektive Realität an sich zweifelhaft ist, Natur aber ein Verstandes-begriff., der seine Realität an Beispielen der Erfahrung beweiset und notwendig beweisen muß“ (GzMdS, S. 92). Die dritte Antinomie, nämlich: „Es gibt keine Freiheit, sondern alles in der Welt geschieht lediglich nach Gesetzen der Natur“ (KrV, S. 427, 495 ff.) einerseits und andererseits: „Die Kausalität nach Gesetzen der Natur ist nicht die einzige, aus welcher die Erscheinungen der Welt insgesamt abgeleitet werde können. Es ist noch eine Kausalität durch Freiheit zu Erklärung derselben anzunehmen notwendig“ (KrV, S. 426, 428). „Die Freiheit im praktische Verstande ist die Unabhängigkeit der Willkür von der Nötigung durch Antriebe der Sinnlichkeit“ (KrV, S. 489). „Beide Thesen sind ohne Widerspruch und die Antinomie nicht auflösbar“ (KrV, S. 331 ff., 426 ff.).
Für den politischen und folglich staatsrechtlichen Zweck müssen hier zwei Sätze genügen, der zweite nur in einem Teil: „Ein jedes Wesen, das nicht anders als unter der Idee der Freiheit handeln kann, ist eben darum, in praktischer Rücksicht, wirklich frei, d. i. es gelten für dassel-be alle Gesetze, die mit der Freiheit unzertrennlich verbunden sind, eben so, als ob sein Wille auch an sich selbst, und in der theoretischen Philosophie gültig, für frei erklärt würde “ (GzMdS, S. 83). „.., denn Freiheit und eigene Gesetzgebung des Willens sind beides Auto-nomie, mithin Wechselbegriffe“ (GzMdS, S. 86). Wohlgemerkt: „…eigene Gesetzgebung des Willens“ ist nicht die subjektive Willkür eines Menschen (dazu zu III und IV). Der Wille gibt die Gesetze, die volonté générale Rousseaus, der objektive Allgemeinwille zum Richtigen für das allgemeine Wohl auch der Grundlage der Wahrheit. Wenn die Ursache des Geschehens ausschließlich die Natur ist, gibt es kein Handeln, keine Praxis. Die „Autonomie des Willens“ besagt; der Wille ist selbstgesetzgebend, nicht etwa der Mensch. Der hat nur die Möglichkeit, den Willen zu erkennen. Kants Rechtslehre ist kognitivistisch, nicht dezisionistisch (dazu zu 4).
„Freiheit (Unabhängigkeit von eines anderen nötigender Willkür), sofern sie mit jedes anderen Freiheit nach einem allgemeinen Gesetz zusammen bestehen kann, ist dieses einzige, ursprüng-liche, jedem Menschen kraft seiner Menschheit, zustehende Recht“ (MdS, S. 345). Das ist die äußere Freiheit.
„Der bürgerliche Zustand also, bloß als rechtlicher Zustand betrachtet, ist auf folgende Prinzi-pien gegründet:
1. Die Freiheit jedes Gliedes der Sozietät, als Menschen.
2. Die Gleichheit desselben mit jedem anderen, als Untertan.
3. Die Selbständigkeit jedes Gliedes eines gemeinen Wesens, als Bürger.“
„Diese Prinzipien sind nicht sowohl Gesetze, die der schon errichtete Staat gibt, sondern nach denen allein ein Staatserrichtung, reinen Vernunftprinzipien des äußeren Menschenrechts, möglich ist. Also…“ (Über den Gemeinspruch: Das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nicht für die Praxis, 1793, ÜdG, S. 127):
„Der bürgerliche Zustand also, bloß als rechtlicher Zustand betrachte, ist auf folgende Prinzi-pien a priori gegründet“:
1. „Die Freiheit als Mensch…“ „Eine Regierung, die auf dem Prinzip des Wohlwollens gegen das Volk als eines Vaters gegen seine Kinder gerichtet wäre, d. i. eine väterliche Regierung (imperium paternale), wo …: ist der größte denkbare Despotismus (Verfassung, die alle Frei-heit der Untertanen, die alsdann gar keine Rechte haben, auf, aufhebt).“
2. „Die Gleichheit als Untertan“.. „Es ist aber alles, was unter den Gesetzen steht, in einem Staat Untertan, mithin dem Zwangsrechte, gleich allen anderen Mitgliedern des gemeinen We-sens, unterworfen“…
3. „Die Selbständigkeit (sibisufficientia) eines Gliedes des gemeinen Wesen als Bürgers, , d. i. als Mitgesetzgebers.“ (ÜdG, S. 145 ff.).
Freiheit, Gleichheit und Selbständigkeit sind eine Einheit (vgl. MdS, S. 432 ff.; ÜdG, S. 150 ff.).
„Derjenige nun, welcher das Stimmrecht in dieser Gesetzgebung hat, heißt ein Bürger (ci-toyen, d. i. Staatsbürger, nicht Stadtbürger, bourgeois“. „Die dazu erforderliche Qualität ist, außer der natürlichen (daß er kein Kind, kein Weib sei), die einzige: daß er sein eigener Herr sei (sui iuris, mithin irgend ein Eigentum habe…“ (ÜdG, S. 151).
„Es müssen aber auch alle, die dieses Stimmrecht haben, zu diesem Gesetz der öffentlichen Gerechtigkeit zusammenstimmen;…. Wenn also das erstere von einem ganzen Volk nicht er-wartet werden darf, mithin nur eine Mehrheit der Stimmen und zwar nicht der stimmenden selbst unmittelbar (in einem großen Volk), sondern nur der dazu Delegierten, als Repräsentan-ten des Volks, dasjenige ist, was allein man als erreichbar voraussehen kann: so wird doch selbst der Grundsatz, sich diese Mehrheit genügen zu lassen, als mit allgemeiner Zustimmung, also durch einen Kontrakt angenommen, der oberste Grund der Errichtung einer bürgerlichen Verfassung sein müssen“ (ÜdG, S. 152 f.). Bemerkung: Das ist „die Idee des Sozialkontrakts“ (ÜdG, S. 159),
Zur Freiheit als die Autonomie des Willens siehe auch zu 4.
Die innere Freiheit ist die Sittlichkeit, deren Gesetz das Sittengesetz, der kategorische Impera-tiv ist (dazu 3).
BVerfG: „Die Ausübung der Staats¬gewalt durch die Organe des deutschen Volkes ist staatliche Herr¬schaft“ (BVerfGE 2, 1 (12); seither st. Rsp. ). Das Recht zur freien Entfaltung der Persön-lichkeit gehört zur allgemeine Handlungsfreiheit (BVerfGE 34, 238 (247). Der Gesetzgeber darf die Grundrechte durch Gesetze einschränken. „Die Rechte anderer, die verfassungsmäßi-ge Ordnung oder das Sittengesetz“ sind die Schrankentrias des Art. 2 Abs. 1 GG. Die politi-sche Freiheit der Bürger sieht das Bundesverfassungsgericht durch Art. 2 Abs. 1 GG nicht geschützt . Grundrechte sind Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat (BVerfGE 7, 198 (204); st. Rsp.; BVerfGE 97, 350 (370 ff.) und zugleich Schutzpflichten des Staates aus demselben Grundrechtstext (BVerfGE 39, 1 (42, Rn. 124) . Abwehr und Schutz werden ge-geneinander nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsprinzips abgewogen (BVerfGE 28, 243 ff., Rn. 71; st. Rsp. ). Der Wesensgehalt eines Grundrechts, der nach Art. 19 Abs. 2 GG in keinem Fall angetastet werden darf, ist nicht mit dem Menschenwürdegehalt eines Grund-rechts gleichzusetzen“ (BVerfGE 109, 279 ff., Rdn.. 112, 116 ff.) .
KAS: Kant entwirft, unschwer erkennbar, die Verfassung einer Republik, eines Gemeinwe-sens der Freiheit, Gleichheit und Selbständigkeit.
Freiheit ist die Würde des Menschen, nämlich unter dem eigenen Gesetz, das zugleich ein all-gemeines Gesetz ist, zu leben. Die Freiheit wird durch die Grundrechte in unterschiedlicher Weise geschützt. Gesetze verwirklichen die Freiheit. Sie definieren die Grenzen der Freiheit. Politische Freiheit ist die Bürgerlichkeit des Bürgers .
Herrschaft ist das Gegenteil von Freiheit (dazu vor allem 6 und 7)
Abwehrrechte und Schutzpflichten auf dieselben Grundrechtstexte zu stützen, erzwingt die Abwägung zwischen dem Abwehr- und dem Schutzzweck der Grundrechte und nimmt die-sen die subsumible Materie. Abwägung ist dezisionistische Politik des Bundesverfassungsge-richts. Das Gericht mißt die Richtigkeit seiner Politik am Verhältnismäßigkeitsprinzip, nämlich der Legitimität der Maßnahme, deren Geeignetheit und Notwendigkeit, den Zweck der Maß-nahme zu erreichen, und dem rechte Maß derselben. Mit dieser Judikatur ermächtigt sich das Gericht zu einer Sachlichkeit, die es selbst als richtig empfindet. Es unterwirft sich nicht den Gesetzen. Die Unabhängigkeit haben Richter aber nur im Rahmen der Gesetzesbindung (Art. 97 Abs. 1 GG). Die Verfassungsrichter übernehmen die Funktion des Verfassungsgebers; denn die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts binden nach § 31 Abs. 1 BVerfGG die Verfas-sungsorgane des Bundes und der Länder sowie alle Gerichte und Behörden wie das geschriebene Verfassungsgesetz, das Grundgesetz, selbst. Dafür fehlt dem Bundesverfas-sungsgericht die Befugnis und die demokratische Legitimation. Das Gericht mißachtet damit das Rechtsstaatsprinzip, zumal die Gewaltenteilung. Richterliche Gesetzgebung ist herrschaft-liche Willkür. Die Grundrechte macht eine solche Praxis, zumal das grundrechtliche Abwä-gungsprinzip, wirkungslos. Schutzpflichten erwachsen dem Sicherheitszweck des Staates, nicht den Grundrechten. Das Gericht hat zu prüfen, ob die Schutzmaßnahmen die grund-rechtsgeschützten Rechte verletzen. Es ist an deren Texte gebunden.
Hüter der Freiheit der Bürger ist das Bundesverfassungsgericht nicht. Es hat die Herrschaft über Deutschland in seine Hände genommen. Seine Herrschaftsmethode ist die verfassungs-rangige Rechtsetzung, die der Parteienstaat umsetzt.
3. Wille und Willkür
Kant: „Alle Menschen denken sich dem Willen nach als frei“ (GzMdS, S. 91).
Der „positi¬ve Begriff“ der „freien Will¬kür“/der „Freiheit der Will¬kür“ ist „das Ver¬mögen der rei-nen Ver¬nunft, für sich selbst prak¬tisch zu sein. Dieses ist aber nicht anders möglich, als durch die Unter¬wer¬fung der Ma¬xime einer jeden Handlung unter die Bedin¬gung der Tauglich¬keit der er¬steren zum allge¬meinen Geset¬ze“ (MdS, S. 318; Metaphysische Anfangsgründe der Tugend-lehre, 1797, MdS, S. 519).
„Kannst du auch wollen, daß deine Maxime ein allgemeines Gesetz werde? Wo nicht, so ist sie verwerflich, und zwar nicht … eine Schätzung des Wertes sei, welcher allen Wert dessen, was durch Neigung angepriesen wird, weit überwiegt, und daß die Notwendigkeit meiner Handlun-gen aus reiner Achtung fürs praktische Gesetz dasjenige sei, was die Pflicht ausmacht, der jeder andere Beweggrund weichen muß, weil sie die Bedingung eines an sich guten Willens ist, des-sen Wert über alles geht“ (GzMdS, S. 20).
„Der Wille ist schlechterdings gut, der nicht böse sein kann, mithin dessen Maxime, wenn sie zu einem allgemeinen Gesetz gemacht wird, sich selbst niemals widerstreiten kann.“ (GzMdS, S. 81).
„Moralität ist also das Verhältnis der Handlungen zur Autonomie des Willens, das ist, zur mögli-chen allgemeinen Gesetzgebung durch die Maximen desselben“. … „Der Wille, dessen Maxi-men notwendig mit den Gesetzen der Autonomie zusammenstimmen, ist ein heiliger, schlech-terdings guter Wille. Die Abhängigkeit eines nicht schlechterdings guten Willens vom Prinzip der Autonomie (die moralische Nötigung) ist Verbindlichkeit.“ … „Die objektive Notwendigkeit einer Handlung aus Verbindlichkeit heißt Pflicht“ (GzMdS, S. 73 f.).
Die „Form des Willens“ ist die „Allgemeinheit desselben“ (GzMdS, S. 70).
„Von dem Willen gehen die Gesetze aus; von der Willkür die Maximen. Die letztere ist im Menschen eine freie Willkür; der Wille, der auf nichts anderes, als bloß aufs Gesetz geht, kann weder frei noch unfrei ge¬nannt werden, weil er nicht auf Hand¬lungen, sondern unmittelbar auf die Gesetzge¬bung für die Maxime der Handlungen (also die praktische Vernunft selbst geht (MdS, S. 317), daher auch schlech¬terdings notwendig und selbst keiner Nötigung fähig ist. Nur die Willkür also kann frei genannt werden“ (MdS, S. 332).
„Es ist überall nichts in der Welt, ja überhaupt auch außer derselben zu denken möglich, was ohne Einschränkung für gut könnte gehalten werden, als allein ein guter Wille“ (GzMdS, S. 18).
Der allgemeine Willen ist die praktische Vernunft oder die Sittlichkeit (GzMdS, S. 41 ff., 58 ff., 81 ff.).
„Was kann denn wohl die Freiheit des Willens sonst sein, als Autonomie, d. i. die Eigenschaft des Willens, sich selbst ein Gesetz zu sein. Der Satz aber: der Wille ist in allen Handlungen sich selbst ein Gesetz, bezeichnet nur das Prinzip, nach keiner anderen Maxime zu handeln, als die sich selbst auch als ein allgemeines Gesetz zum Gegenstand haben kann. Dies ist aber ge-rade die Formel des kategorischen Imperativs (dazu 4) und das Prinzip der Sittlichkeit: also ist ein freier Wille und ein Wille unter sittlichen Gesetzen einerlei.“ (GzMdS, S. 81 f.).
„Nun kann der einseitige Wille in Ansehung eines äußeren, mithin zufälligen, Besitzes nicht zum Zwangsgesetz für jedermann dienen, weil das der Freiheit nach allgemeinen Gesetzen Abbruch tun würde. Also ist nur ein jeden anderen verbindender, mithin kollektiv-allgemeiner (gemeinsamer und machthabender Wille derjenige, welcher jedermann Sicherheit leisten kann“…“Also kann es nur im bürgerlichen Zustande ein äußeres Mein und Dein geben“ (MdS. S. 365 f.)
Rousseau: Die Minderheit irrt sich über die volonté générale, den Allgemeinwillen. Darum ist der Beschluß der Mehrheit vom Irrtum frei (Cs, IV, 2).
BVerfG: Rousseauismus und Kantianismus sind dem Bundesverfassungsgericht fremd.
Das Gericht kennt den „natürlichen Willen“ (etwa BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 26. November 2024 – 1 BvL 1/24 – , durchgehend) und den „freien Willen“. Rn. 100: „Dieses Selbstbestimmungsrecht (. .) gewährleistet einsichts- und urteilsfähigen Grundrechtsberechtig-ten (…) im Grundsatz das Recht, mit freiem Willen über Eingriffe in ihre körperliche Integri-tät zu entscheiden (Selbsttötung mit Suizidhilfe) ohne ihre Entscheidungen am Maßstab ob-jektiver Vernünftigkeit ausrichten zu müssen“ (BVerfGE 153, 182 (261, Rdn. 204 ff., 210) . BVerfGE 142, 313 (339 f. Rn. 74 ff., 80: „Der Gesetzgeber muss für Fälle, in denen drohende erhebliche Gesundheitsbeeinträchtigungen einschließlich einer Lebensgefahr durch nicht zu eingriffsintensive Behandlungen mit hohen Erfolgsaussichten abgewehrt werden können, die Betroffenen aber aufgrund ihrer krankheitsbedingt fehlenden Einsichtsfähigkeit mit ihrem natürlichen Willen eine solche Behandlung ablehnen, die Möglichkeit einer medizinischen Zwangsbehand-lung vorsehen. Die staatliche Schutzpflicht hat bei erheblicher Gesundheitsge-fährdung einer zum eigenen Schutz selbst nicht fähigen Person besonderes Gewicht“.
KAS: Kant unterscheidet den Willen von der Willkür. Die Freiheit ist es, das Gesetz, das Richtige für das gemeinsame Leben der Bürger, für die Republik also, auf der Grundlage der Wahrheit, zu verwirklichen. Der Wille ist autonom. Kant handelt nicht von einer Autonomie, sondern gemäß dem griechischen Wort αὐτονομία nur von einer „Autonomie des Willens“. Der Wille als der Allgemeinwille ist die praktische Vernunft. Das Gesetz ist ein Obiectivum, das Richtige für das Volk, das Gemeinwohl, die volonté générale. Die Gesetze müssen auf der Grundlage der Wahrheit mit Hilfe der Besten des Volkes erkannt werden.
Die Willkür der Mehrheit bei Abstimmungen legitimiert nicht die Herrschaft über das Volk. Die Dogmatik des Willens als des Allgemeinwillens ergibt sich aus der Existentialität des Ge-meinwesens, die um des Gemeinwohls willen einen Gemeinwillen haben muß, um miteinander in Frieden leben zu können. Aristoteles, Politik , Erstes Buch, 1253 a 2 f., S. 49: „Der Mensch ist von Natur ein staatenbildendes Wesen“, ζῷον πολιτικόν, Zoon politikon. Das ist die ‚Logik‘ der Politik. Der Gegenstand der Politik ist das Wohl aller Bürger, der πόλις als der Bürgerschaft, die der Wille jedes Bürgers sein muß, solange er Bürger eines Gemeinwesens, eines Staates, ist, und nicht Tyrann oder Sklave. Die Wirklichkeit des Gemeinwohls ist der Gegenstand der Gesetze, der νόμοι. Die Allgemeinverbindlichkeit ist der Begriff des Geset-zes. Sie folgt aus der Gleichheit der Bürger als Bürger, die demgemäß vor dem Gesetz gleich sind (Art. 3 Abs. 1 GG). Welches ist dieser Wille? Er ergibt sich aus der Lage, nicht aus der Willkür die Vielen, deren „Habsucht, Ehrsucht und Machtsucht“ als homines phainomenoi, als „Sinnenwesen“ (Kant, MdS, S. 332 f.). Der Wille ist das Richtige für das gute Leben aller in allgemeiner Freiheit auf der Grundlage der Wahrheit . Den Allgemeinwillen müssen die Bür-ger als homines noumenoi erkennen. Der Kategorische Imperativ der Transzendentalphiloso-phie Kants entspricht in allen seiner drei Formeln dieser existentiellen Logik (dazu 4). Wie das Naturgesetz muß das politische Gesetz, das als Gesetz durch seine Allgemeingültigkeit ge-kennzeichnet ist, erkannt werden.
Den Willensbegriff des Art. 21 Abs. 1 S. 1 GG, wonach die Parteien an der „politischen Wil-lensbildung des Volkes mitwirken“ hat das Bundesverfassungsgericht nicht eigens zu erfassen versucht. Den Begriff des „freien Willens“ verbindet das Gericht nicht mit dem „Maßstab objektiver Vernünftigkeit“. Der Wille ist frei, ohne daß Entscheidungen am Maßstab objekti-ver Vernünftigkeit ausgerichtet sein müssen. Der freie Willen besteht, wenn der Mensch nicht fähig ist, selbstbestimmt über sein Leben entscheiden kann. Diese Begrifflichkeit hat keinerlei Nähe zur kantischen Philosophie der Autonomie des Willens. Seine Dogmatik zu den Verfas-sungsprinzipien des Grundgesetzes legt die Annahme nahe, daß das Bundesverfassungsge-richt einen Begriff des freien Willens als Willensbegriff praktiziert, der dem kantianischen Begriff der Willkür entspricht, ohne sich jemals über die Begriffe Klarheit verschafft zu ha-ben. „Willkür“ versteht das Gericht als grobe Unsachlichkeit, die, am Gerechtigkeitsgedanken orientiert, den Gleichheitssatz verletzt (BVerfGE 54, 11 (25 f.); 71, 39 (58 f.); st. Rsp.; KAS, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 329 ff.). Willkürliches Handeln, das dem Sittengesetz genügt, ist frei und gerade nicht verboten. Sittlichkeit folgt Maximen des Handelns, die der Gesetz-lichkeit fähig sind. Willkür ist notwendig, wenn Handeln nicht lediglich Gesetzesvollzug ist, aber sie soll frei sein, also sittlich. Sittlichkeit ist ein Imperativ, ein Pflicht, deren Erfüllung im Gegensatz zur Gesetzlichkeit des Handelns nicht erzwungen werden kann. Willkür ist somit im kantianischen Verständnis nur ein Gleichheitsverstoß, wenn sie dem Sittengesetz nicht ge-nügt und deswegen nicht freiheitlich ist. Dem allgemeinen Gleichheitssatz des Grundgesetzes wird gewissermaßen das Prinzip der Sittlichkeit der Gesetze abgewonnen, entgegen dem Wortlaut des Art. 3 Abs. 1 GG, der nur die „Gleichheit vor dem Gesetz“ gebietet, also die Gleichheitlichkeit der Gesetzesanwendung, nicht aber eine Gesetzgebungsgleichheit (dazu KAS, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 329 ff.). Das zeigt, die Mißachtung der Gleichheit durch den Gesetzgeber nimmt das Bundesverfassungsgericht nicht hin, weil sie ‚ungerecht‘ ist. Sie verletzt das Sittengesetz, den kategorischen Imperativ, und ist Unrecht. Daß das Bun-desverfassungsgericht sich damit zum Gesetzgeber macht ist augenscheinlich; denn allgemei-ner als das der Gerechtigkeit kann ein Rechtsprinzip nicht sein. Aber diese ‚Rechtsprechung‘ hat die Unterwerfung unter die Gesetze (Art. 97 Abs. 1 GG) abgeschüttelt. Ihr fehlt die de-mokratische Legitimation. Der Sachgerechtigkeit der Gesetzgebung im Parteienstaat, der durch die Negativauslese der in die Parlamente abgeordneten Parteifunktionäre gekennzeich-net ist, scheint selbst das Bundesverfassungsgericht nicht zu vertrauen.
Nur Freiheit ist Frieden, nämlich, wie zu 2 zitiert, die „Unabhängigkeit von eines anderen nö-tigender Willkür“ (Kant, MdS, S. 345). Die Willkür der Mehrheit, die volonté des tous, schafft keine Gesetze, sondern setzt Vorschriften durch, die ein Instrument der Herrschaft sind. Das Grundgesetz institutionalisiert „Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Ge-walt und der Rechtsprechung“, die, wenn es nicht durch Abstimmungen geschieht, die Staatsgewalt des Volkes ausüben. Die „Vertreter des ganzen Volkes“ „sind an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen“ (Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG). Sie sollen nämlich den Willen des Volkes erkennen und beschließen und nicht den Willen der Mehrheit . Die Mehrheit hat kein Recht, die Minderheit zu beherrschen. Es gibt in der Repub-lik kein Mehrheitsprinzip. Der Republikanismus der freiheitlichen Erkenntnis des allgemeinen Willens des Volkes bedarf der Mehrheitsregel in den Organen, wie jeder Kognitivismus, etwa die Rechtssprüche der Kollegialgerichte . Führer entscheiden dezisionistisch, auch die kleinen Führer in Parteien und Unternehmen.
4. Sittengesetz und Moralität (Art. 2 Abs. 1 GG)
Kant: Das Sittengesetz ist die universalisierte Fassung der biblischen lex aurea (GzMdS, S. 25; KpV, S. 113; MdS, S. 586 ff.): „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst; denn ich bin der Herr“ (3. Mose 19,18).
„Der oberste Grundsatz der Sittenlehre ist also: handle nach einer Maxi¬me, die zugleich als allgemeines Gesetz gelten kann. – Jede Maxime, die sich hiezu nicht qualifiziert, ist der Moral zuwider“ (MdS, S. 332).
Das Sittengesetz ist der Kategorische Imperativ. Die drei Formeln sind
die deontische Formel: „…Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, daß sie ein allgemeines Gesetz werde“ (GzMdS, 51), oder: „Handle so, daß die Ma-xime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten kön-ne“ (KpV, S. 140),
die Naturgesetzformel: „…Handle so, als ob die Maxime deiner Handlung durch deinen Wil-len zum allgemeinen Naturgesetze werden sollte“ (GzMdS, S. 51),
die Selbstzweckformel: „…Handle so, daß du die Menschheit, sowohl in deiner Person, als in der Person jedes andern, jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchest“ (GzMdS, S. 61).
Das „allgemeine ethische Gebot“ ist: „Handle pflichtmäßig, aus Pflicht“ (MdS, S. 521, 523). Moralität ist nicht erzwingbar (MdS, S. 508 ff., 511 ff., 520 ff., 527 ff.). „Die „Wissenschaft“ „von der Freiheit“ „ist Ethik“ (GzMdS, S. 11). „Das Bewußtsein eines inneren Gerichtshofes im Menschen (‚vor welchem sich seine Gedanken einander verklagen oder entschuldigen‘) ist das Gewissen“ (MdS, S. 573).
„Die Tugendpflicht ist von der Rechtspflicht wesentlich darin unterschieden: daß zu dieser ein äußerer Zwang moralisch-möglich ist, jene aber auf dem freien Selbstzwange allein beruht“ (MdS, S. 512). „Ein anderer kann mich zwar zwingen, etwa zu tun, was nicht mein Zweck (sondern nur Mittel zum Zwecke eines anderen) ist, aber nicht dazu, daß ich es mir zum Zwe-cke mache, und doch kann ich keinen Zweck haben, ohne ihn mit zu machen“ (MdS., S. 510 f.) „Aber sich selbst einen Zweck zu setzen, der zugleich Pflicht ist, ist kein Widerspruch; weil ich da mich selbst zwinge, welches mit der Freiheit gar wohl zusammen besteht“ (MdS, S. 511).
„Zwecke, die zugleich Pflichten sind“: „Eigene Vollkommenheit – Fremde Glückseligkeit“ (MdS. S. 515). Die „eigene Vollkommenheit“ „kann also nichts anders sein als Kultur seines Vermögens (oder der Naturanlage), in welchem der Verstand, als Vermögen der Begriffe, mithin auch deren, die auf Pflicht gehen, das oberste ist, zugleich aber auch seines Willens (sittlicher Denkungsart), aller Pflicht überhaupt ein Genüge zu tun“ (MdS, S. 516). „Glückse-ligkeit, d. i. Zufriedenheit mit seinem Zustand, sofern man der Fortdauer derselben gewiß ist, sich zu wünschen und zu suchen ist der menschlichen Natur unvermeidlich; eben darum aber auch nicht ein Zweck, der zugleich Pflicht ist“ (MdS, S. 517).
Die Republik braucht den „moralischen Politiker, nicht den politischen Moralisten“ (ZeF, S. 233).
BVerfG: Das Sittengesetz in Art. 2 Abs. 1 GG sind die guten Sitten (BVerfGE 6, 389 (434 ff.); st. Rsp.). Die kantianische Moral- und Tugendlehre sind dem Bundesverfassungsgericht unbekannt.
KAS: Ohne Moralität gibt es keine Sittlichkeit, ohne Sittlichkeit kein Rechtlichkeit.
Der Schlüssel zum Verständnis des Grundgesetzes ist das Sittengesetz. Die Sittlichkeit gemäß dem Sittengesetz ist das zentrale Prinzip des Grundgesetzes, weil die Verbindlichkeit des Sit-tengesetzes zur Ethik als der Lehre von Freiheit und folglich zum Begriff der Freiheit gehört (Art. 2 Abs. 1 GG). Das Bundesverfassungsgericht hat das Sittengesetz aus der Verfassungs-wirklichkeit entfernt. Die Freiheit ist entgegen der Unantastbarkeit der Menschenwürde zu einem entpolitisierten Schutzrecht von Untertanen vor unverhältnismäßigen Maßnahmen der Obrigkeit, der pluralen Parteienoligarchie, abgewertet. Die politische Verantwortung, die das Grundgesetz den Bürgern mit dem kantianischen Freiheitsbegriff zugewiesen ist, leugnet das Bundesverfassungsgericht. Sie dürfen konsumieren, solange die Wirtschaft sie versorgt und die politische Klasse ihnen die Mittel dafür nicht nimmt, auch um Interessen zu unterstützen, die Deutschland nichts angehen. Damit hat das Bundesverfassungsgericht eine Verfassung geschaffen, jedenfalls eine immanente Verfassungsänderung zugelassen, die mit dem Grund-gesetz nichts mehr gemein hat, außer Verfahrensregelungen; denn auch den Grundrechten hat das Bundesverfassungsgericht die politische Bedeutung im Wesentlichen abgesprochen. Es hat sie zu einem Abwägungs- und Verhältnismäßigkeitsprinzip nivelliert und damit seiner mehr und mehr parteilichen Politik unterworfen (dazu 3). Das Gericht hat die „freiheitliche demokratische Grundordnung“ zu einer Herrschaftsordnung mit so gut wie wirkungslosen Abwehrrechten gegen den Staat und wenig hilfreichen Schutzpflichten des Staates gemacht. Die Bürger sind durch einen liberalistischen, republikfernen Freiheitsbegriff entbürgerlicht. Die Bürger haben nach wie vor das Wahlrecht, das demokratische Minimum. Aber durch die vom Bundesverfassungsgericht nicht abgewehrten Parteienoligarchie haben die Wahlen nur noch geringe politische Bedeutung. Es ist für die Bürger gleichgültig, welche Parteifunktionä-re in den Parlamenten sitzt und wer die Regierung bildet. Wirkliche Opposition wird derzeit durch die plurale Parteienoligarchie der vermeintlich ‚demokratischen‘ Parteien mittels Äch-tung und Mißbrauch des Verfassungsschutzes aus der Politik nach Kräften ausgegrenzt. Die Politik ist nicht mehr Sache der ‚Bürger‘.
5. Freiheit der Meinungsäußerung (Art. 5 Abs. 1 und Abs. 2 GG).
Kant: Kant unterscheidet Wissen, Meinen und Glauben (KrV, 1781/1787, Transzendentale Methodenlehre, S. 687 ff.; Logik, 1800. S. 494 ff.). „Das Meinen ist ein problematisches, das Glauben ein assertorisches und das Wissen ein apodiktisches Urteilen“ (Logik, S. 494). „Wahrheit aber beruht auf der Übereinstimmung mit dem Objekte, in Ansehung dessen folg-lich die Urteile eines jeden Verstandes einstimmig sein müssen (consentienta uni tertio, consentiunt inter se)“ (KrV, S. 688). „Meinen ist ein mit Bewußtsein sowohl subjektiv, als objektiv unzureichendes Fürwahrhalten“ (KrV, S. 689) „Es kann als ein vorläufiges Urteil (sub conditione suspensivs ad interim) angesehen werden, dessen man nicht leicht entbehren kann“ (Logik, S. 495). „Ist das letztere (sc.: das Meinen) nur subjektiv zureichend und wird zugleich für objektiv unzureichend gehalten, so heißt es Glauben (KrV, S. 689; Logik, S. 496 ff.). Endlich heißt das sowohl subjektiv als objektiv zureichende Fürwahrhalten das Wissen“ (KrV, S. 689; Logik, S. 499 ff.).
Die „angeborene Gleichheit“…„endlich auch die Befugnis, das gegen andere zu tun“,….,“dergleichen ist, ihnen bloß seine Gedanken mitzuteilen, ihnen etwa zu erzählen oder zu versprechen, es sein wahr und aufrichtig, oder unwahr und unaufrichtig (veriloquium aut falsiloquium), weil es bloß auf ihnen beruht, ob sie ihm glauben wollen oder nicht; – alle diese Befugnisse liegen schon im Prinzip der angeborenen Freiheit, und sind wirklich von ihr nicht (als Glieder der Einteilung unter einem höheren Rechtsbegriff) unterschieden“ (MdS, 345 f.).
BVerfG: Meinung ist „Element der Stellungnahme und des Dafürhaltens“. „Meinungen sind durch die subjektive Beziehung des Einzelnen zum Inhalt seiner Aussage geprägt“ (BVerfGE 90, 241 (247, Rn. 26). „Tatsachenbehauptungen sind dagegen im strengen Sinn keine Mei-nungsäußerungen. Im Unterschied zu diesen steht bei ihnen die objektive Beziehung zwischen der Äußerung und der Realität im Vordergrund. Insofern sind sie auch einer Überprüfung auf ihren Wahrheitsgehalt zugänglich. Tatsachenbehauptungen fallen deswegen aber nicht von vornherein aus dem Schutzbereich von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG heraus. Da sich Meinungen in der Regel auf tatsächliche Annahmen stützen oder zu tatsächlichen Verhältnissen Stellung beziehen, sind sie durch das Grundrecht jedenfalls insoweit geschützt, als sie Voraussetzung für die Bildung von Meinungen sind, welche Art. 5 Abs. 1 GG in seiner Gesamtheit gewähr-leistet“ (daselbst, Rn. 27). „Das Bundesverfassungsgericht geht deswegen in ständiger Recht-sprechung davon aus, daß die bewußt oder erwiesen unwahre Tatsachenbehauptung nicht vom Schutz der Meinungsfreiheit umfaßt wird. Allerdings dürfen die Anforderungen an die Wahr-heitspflicht nicht so bemessen werden, daß darunter die Funktion der Meinungsfreiheit leidet und auch zulässige Äußerungen aus Furcht vor Sanktionen unterlassen werden (daselbst, Rn. 28). „Die Meinungsfreiheit ist allerdings nicht vorbehaltlos gewährleistet. Nach Art. 5 Abs. 2 GG unterliegt sie den Schranken, die sich aus den allgemeinen Gesetzen sowie den gesetzli-chen Bestimmungen zum Schutz der Jugend und der persönlichen Ehre ergeben. Doch ist bei der Auslegung und Anwendung von Gesetzen, die sich beschränkend für die Meinungsfrei-heit auswirken, der Bedeutung der Meinungsfreiheit Rechnung zu tragen (daselbst, Rn. 30; vgl. schon BVerfGE 7, 198 (208 f.)). Das erfordert in der Regel eine im Rahmen der Tatbe-standsmerkmale der einschlägigen Normen vorzunehmende fallbezogene Abwägung zwischen dem eingeschränkten Grundrecht und dem Rechtsgut, dem das grundrechtsbeschränkende Gesetz dient (daselbst, Rn. 30).
KAS: Eine Meinungsäußerung ist ein Beitrag zur Wahrheit und Richtigkeit. Die Wahrheit ist die bestmögliche Annäherung der nicht widerlegten Theorie an die Wirklichkeit . Das Sollen verlangt, Sittlichkeit und Rechtlichkeit. Nur auf der Grundlage der Wahrheit kann das Sollen richtig sein. Das Sollen ergibt sich aus den Gesetzen und dem Sittengesetz.
Das „Recht, seine Meinung in Wort, Schrift oder Bild frei zu äußern und zu verbreiten“ (Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG), findet seine Schranke vor allen in den Vorschriften der allgemeine Geset-ze, insbesondere den Strafgesetzen (Absatz 2 des Art. 5 GG). Das gilt auch für die Pressefrei-heit und die Rundfunkfreiheit (für die Presse BVerfGE 66, 116 (134, 136 ff.); für den Rund-funk BVerfGE 97, 298 (310 ff.)). Die Wechselwirkungsdogmatik des Bundesverfassungsge-richts relativiert sowohl das Grundrecht als auch dessen Schranke (vgl. BVerfGE 7, 198 (208 f., 210 f.); 91, 125 (136 f.)). Folge ist entgegen der rechtstaatlichen Gewaltenteilung Einzel-falljudikatur, nicht Richtersprüche auf Grund textabhängiger Subsumtion unter die Gesetze. Das Gericht hat auf diese Weise den Persönlichkeitsschutz in politischen Auseinandersetzun-gen gegenüber der Pressefreiheit im Übermaß zurückgedrängt .
Die Freiheit politischer Meinungsäußerungen ist essentiell für die ‚Demokratie‘. Sie besteht in praxi nur begrenzt. Wer mit seinen Meinungsäußerungen den Rahmen der herrschenden Ideo-logie überschreitet oder zu überschreiten verdächtig ist oder auch nur verdächtigt wird, wird vom Verfassungsschutz als rechtsextrem oder gar als „gesichert rechtsextrem, denunziert oder auch und vor allem von den Staatsmedien geächtet . ‚Öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstal-ten‘ gesteht das Bundesverfassungsgericht grundsätzlich den gleichen Grundrechtestatus zu wie den privaten Medien . Das ist die Grundlage der Mediokratie in Deutschland. Mit dem Grundrechtsschutz staatlicher Medien, wie das die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, trotz privatrechtlicher Rechtsform sind , ändert die Judikatur das politische System des Grundgesetzes. Das Grundgesetz schließt einen Grundrechtschutz des Staates aus . Daran ändert die begriffsferne Gleichschaltung der Rundfunkfreiheit der privaten und der staatli-chen Anstalten als „dienender Freiheit“ (so BVerfGE 95, 220 (236); 119, 181 (214); 136, 9, Rn. 29) nichts. Es ist der Zweck des Staates, dem Volk zu dienen. Die Staatlichkeit des öf-fentlich-rechtlichen Rundfunks zeigt sich in der allgemeinen Beitragspflicht. Diese ist funkti-onal eine Steuer (a. A. BVerfGE 149, 222 ff., Rdn. 50 ff., 58) . Der ‚Staatsrundfunk‘ ist eine wirkungsvolle Einrichtung des vormundstaatlichen Staates. Den Staatsmedien eignet keine Freiheit, schon gar nicht die Meinungsäußerungsfreiheit und die Pressefreiheit. Ihre Aufgabe ist die Information der Öffentlichkeit, nicht deren Indoktrination.
Das Herrschaftssystem Deutschlands besteht aus dem ‚Bündnis‘ der politischen Parteien mit den ‚Staatsmedien‘. Die letzteren sichern der ‚demokratischen‘ pluralen Einheitspartei die Macht (dazu 7), weil diese wegen der Wahlfreiheit der Bürger auf deren mehr oder weniger gesteuerten Meinungen gestellt ist, und die ersteren sorgen in den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten für eine Bezahlung der Redakteure, deren ‚Bestechungsfunktion‘ augen-scheinlich ist. Wegen ihrer Pfründen hassen die etablierten Parteien und Staatspropagandisten Eindringlinge in ihre ‚Festungen‘. Freilich kaufen sich auch Wirtschaftsunternehmen politi-schen Einfluß.
Nicht substantiierte ‚Feststellungen“ eines „Extremismus“ eines Bürgers oder einer Gruppe von Bürgern bringen die Bürger zum Schweigen, weil sie in Beruf und Gesellschaft, vor allem in der Politik, zur ‚Unberührbarkeit‘ führen soll und vielfach führt. Derartige Vorwürfe kön-nen allenfalls erhoben werden, wenn Bürger bestimmte Grundrechte „zum Kampfe gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung mißbrauchen“ (Art. 18 GG) oder Parteien „nach ihren Zielen oder dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen/ausgerichtet sind, diese Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden“ (Art. 21 Abs. 2 GG). Darüber muß das Bundesverfassungsgericht entscheiden (Art. 21 Abs. 4 GG). Dieser Verfassungsschutz wird den Bürgern gegenüber den Staatsmedien verweigert. Die Freiheit der Meinungsäußerung ist demokratisches Essentiale einer Republik (Lüth-Urteil, 1958, BVerfGE 7, 198 (208)). Ein Staat, der dieses Grundrecht verletzt, ist nicht demokratisch. Das gilt auch für die politischen Parteien, die staatliche Insti-tutionen sind . Parteien haben den „Rang verfassungsrechtlicher Institutionen“. Sie sind „Fak-toren des Verfassungslebens“ (zuletzt BVerfGE 144, S. 20 ff., Rn. 522). Die Parteien sind grundrechtsverpflichtet, zumal ihre innere Ordnung. Sie unterbinden aber die von der Parteili-nie abweichenden Meinungsäußerungen und betreiben deswegen Parteiausschlußverfahren .
Freiheit gibt es nur in einem Land, in welchem Bürger und Staat stets den aufklärerischen Satz Voltaires beherzigen:
„Je ne suis pas d’accord avec ce que vous dites, mais je me battrai jusqu’à la mort pour que vous ayez le droit de le dire“. „Ich bin nicht einverstanden mit dem, was Sie sagen, aber ich würde bis zum Letzten dafür kämpfen, dass Sie das Recht haben, es zu sagen“.
6. Volk und Staat (Art. 20 Abs. 2 GG)
Aristoteles: „Der Mensch ist von Natur ein staatenbildendes Wesen“, ζῷον πολιτικόν, wie schon zu 3 zitiert.
Marcus Tullius Cicero: „Est igitur …res publica res populi, ….“ (De re publica, Liber primus , 25). Populus waren die Bürger Roms (der pleps), nicht nur die patres (Patrizier) und die equites (Ritter), keinesfalls alle Menschen, die in Rom lebten, nicht die Frauen und Kinder, nicht die Sklaven und Ausländer.
Aurelius Augustinus von Hippo (354 bis 430): „Nimm das Recht weg – was ist dann ein Staat noch anderes als eine große Räuberbande.“ (De Civitate Dei, 426, hrsgg. von H. U. Baltasar, 1960, IV, 4-6, S. 115). Papst Benedikt der XVI hat in seiner Rede im Deutschen Bundestag am 22. September 2011 auf den Satz des Kirchenvaters hingewiesen.
Thomas Hobbes: „Homo homini lupus. Homo homini deus est.“ (De cive. Epistola dedicartoria, 1651, ed. Mayer/Diesselhorst 1970/80). Dieses Wissen rechtfertigt den Leviathan.
Georg Friedrich Wilhelm Hegel: “Der Staat ist die Wirklichkeit der sittlichen Idee – der sittli-che Geist, als der offenbare, sich selbst deutliche, substantielle Wille, der sich denkt und weiß und das, was er weiß und insofern er es weiß, vollführt“. „Der Staat ist als die Wirklichkeit des substantiellen Willens, die er in dem zu seiner Allgemeinheit erhobenen besonde-ren Selbstbewußtsein hat, das an und für sich Vernünftige. Diese substantielle Einheit ist ab-soluter unbewegter Selbstzweck, in welchem die Freiheit zu ihrem höchsten Recht kommt, so wie dieser Endzweck das höchste Recht gegen die Einzelnen hat, deren höchste Pflicht es ist, Mitglieder des Staats zu sein“ .
Friedrich Naumann: „Der Staat, das sind wir“ .
Bürger der DDR 1989: „Wir sind das Volk“ (Parole der Befreiung von der Despotie in Mit-teldeutschland 1989).
Carl Schmitt: „Der Begriff der Rechtsordnung enthält zwei völlig verschiedene Elemente: das normative Element des Rechts und das seinsmäßige Element der konkreten Ordnung. Die Einheit und Ordnung liegt in der politischen Existenz des Staates, nicht in Gesetzen, Regeln und in irgendwelchen Normativitäten“ .
Kant: „Volk“ ist „eine Menge von Menschen, …, die im wechselseitigem Einflusse gegen ei-nander stehend, des rechtlichen Zustandes unter einem sie vereinigenden Willen, einer Verfas-sung (constitutio) bedürfen, um dessen, was Rechtens ist, teilhaftig zu werden“ (MdS, S. 429).
„Unter dem Wort Volk (populus) versteht man die in einem Landstrich vereinigte Menge Menschen, in sofern sie ein Ganzes ausmacht. Diejenige Menge oder auch der Teil derselben, welcher sich durch gemeinschaftliche Abstammung für vereinigt zu einem bürgerlichen Ganzen erkennt, heißt Nation (gens); der Teil, der sich von diesen Gesetzen ausnimmt (die wilde Menge in diesem Volk) heißt Pöbel (vulgus), dessen gesetzwidrige Vereinigung das Rottieren (angere per turbas) ist; ein Verhalten, welches ihn von der Qualität eines Staatsbürgers ausschließt.“ (Anthropologie in pragmatischer Hinsicht. Über Pädagogik, 1798, 2. Aufl. 1800, S. 399 ff., 658 f.). Kant hat den Staatsbürger, den citoyen, vom Stadtbürger, den bourgeois, unterschieden (ÜdG, S. 151, zu 2 zitiert).
Wegen der „Erfahrung ….“…, so liegt es doch a priori in der Vernunftidee eines solchen (nicht-rechtlichen) Zustandes, daß, bevor ein öffentlich gesetzli¬cher Zustand errichtet worden, verein-zelte Men¬schen, Völker und Staaten niemals vor Gewalttätigkeit gegen einander sicher sein können, und zwar aus jedes seinem eigenen Recht, zu tun, was ihm recht und gut dünkt, und hierin von der Meinung des anderen nicht abzuhängen; mithin das erste, was ihm zu beschlie-ßen ob¬liegt, wenn er nicht allen Rechtsbegriffen entsa¬gen will, der Grundsatz sei: man müsse aus dem Naturzustande, in welchem jeder seinem eigenen Kopfe folgt, herausgehen und sich mit allen anderen (mit denen in Wechselwirkung zu geraten er nicht ver¬meiden kann) dahin vereinigen, sich einem öffentlich gesetzlichen äußeren Zwange zu unterwerfen, also in einen Zustand treten, darin jedem das, was für das Seine anerkannt werden soll, gesetzlich bestimmt, und durch hinreichende Macht (die nicht die seinige, sondern eine äußere ist) zu Teil wird, d.i. er solle vor allen Dingen in einen bürgerlichen Zustand treten.“ (MdS, S.430)
„Der Staat (civitas) ist die Vereinigung einer Menge von Menschen unter Rechtsgesetzen“ (MdS, S. 431).
„Ein paternalistischer Staat ist „der größte denkbare Despotismus“ (ÜdG, S. 145 f.).
BVerfG: Der Staat ist „die Einheit von Staatsgebiet, Staatsvolk und Staatsgewalt“ (BVerfGE 123, 267 ff., Rn. 298. 344 f. ).
Staatsvolk sind die Staatsangehörigen, in Deutschland die Deutschen (Art. 116 Abs. 1 GG; BVerfGE 83, 37 ff., Rn. 56). Die Staatsgewalt des Volkes ist die „Volkssouveränität“ (BVer-fGE 77, 137 (150 ff.); 83, 37 ff., Rn. 53). Souverän ist der Staat (BVerfGE 123, 267 ff., Rdn. 216, 298 f., passim ).
KAS: Der Wille der in einem Gebiet lebenden Menschen, ein Staat zu sein, erwächst dem exis-tentiellen Interesse an der Sicherheit. Sicherheit ist Staatszweck (Hobbes, Leviathan, 13. Kap. S. 112 ff., 17. Kap., 151 ff., 18. Kap., 156 ff. )
Kant hat alles Wesentliche zum Staatsbegriff gesagt. Der Staat ist die Organisation der Bürger zur Verwirklichung des guten Lebens aller Bürger in allgemeine Freiheit (KAS, Res publica res populi, S. 299 ff., 350 ff., 573 ff., 625 ff.; Freiheit in der Republik, 2007, FridR, S. 142, 484 ff., u. ö.). Theodor Mommsen:
„Ich wünschte ein Bürger zu sein.“
Die Staatsangehörigen sind die Bürger. Bürger ist, wer zum Staat, dem Gemeinwesen, gehört, der Staatsangehörige (BVerfGE 83, 37 (50 f.); 83, 60 (76, 81); 107, 59 (87); 123, 267, Rn. 229). Die Homogenität der Bürgerschaft als Kulturvolk (Sprache, Geschichte, Religion usw.) ist Bedingung demokratischer Verhältnisse. Sonst bildet sich kein Allgemeinwille und das Gemeinwohl läßt sich nicht verwirklichen (dazu KAS, Souveränität, passim; Nationalstaat und Souveränität, 2024, 1. Teil, 1. Kap., 1 und 2, 2. Teil, 1. Kap. 6; Homepage).
Die Bürger sind souverän, jeder einzelne (KAS, Souveränität, S. 312 ff.), nicht der Staat. Vie-le Jahrzehnte wurde in der Bundesrepublik Deutschland der Bürger als Souverän der Republik vernachlässigt .
Der Staat vertritt die Bürgerschaft in deren Souveränität, außer bei den aktiven Wahlen (Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG). In Art. 20 Abs. 2 GG steht:
„Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus“. „Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, vollziehenden Gewalt und der Rechtspre-chung ausgeübt“.
Bemerkung: Der Wortlaut der Verfassung der Russischen Föderation (Art. 1 und 2) stimmt mit dem des Grundgesetzes überein. Die Verfassungswirklichkeit der Föderation unterschei-det sich von der der Bundesrepublik Deutschlands – noch wesentlich. In der ‚diktatorischen‘ Corona-Pandemie war das bereits anders.
7. Demokratie als Parteienstaat (Art. 20 Abs. 1 und 2, Art. 21, Art. 38 Abs. 1 GG)
Athen war eine aristokratische Oligarchie (κοινωνία πολιτική, πόλις der δεσπόται, politisches Gemeinwesen, Gemeinschaft der Grundeigentümer), keine Demokratie.
Kant: Demokratie ist die Staatsverfassung, bei der „alle zusammen, welche die bürgerliche Ge-sellschaft ausmachen, die Herrschaftsgewalt besitzen“. „Unter den drei Staatsformen (sc. „Au-tokratie, Aristokratie und Demokratie, Fürstengewalt, Adelsgewalt und Volksgewalt) ist die der Demokratie, im eigentlichen Verstande des Wortes, notwendig ein Despotism, weil sie eine exekutive Gewalt gründet, da alle über und allenfalls auch wider einen (der also nicht mit ein-stimmt) mithin alle, die doch nicht alle sind, beschließen; welches ein Widerspruch des allge-meine Willens mit sich selbst und mit der Freiheit ist.“ (ZeF, 207). Die „Demokratie“ macht eine „repräsentative Regierungsart“ unmöglich, weil alles da Herr sein will“ (ZeF, S. 207; i. d. S. auch MdS, S. 464 f., siehe auch 8).
„Die gesetzgebende Gewalt kann nur dem vereinigten Willen des Volkes zukommen. Denn, da von ihr alles Recht ausgehen soll, so muß sie durch ihr Gesetz schlechterdings niemand unrecht tun können. Nun ist es, wenn jemand etwa gegen einen anderen verfügt, immer möglich, daß er ihm dadurch unrecht tue, nie aber in dem, was er über sich selbst beschließt (denn volenti non fit inuria). Also kann nur der übereinstimmende und vereinigte Wille aller, so fern ein jeder über alle und alle über einen jeden eben dasselbe beschließen, mithin nur der allgemeinen vereinigte Volkswille gesetzgebend sein“ (MdS, S. 432). „Nur die Fähigkeit der Stimmgebung macht die Qualifikation zum Staatsbürger aus; jene aber setzt die Selbständigkeit dessen im Volk voraus, der nicht bloß Teil des gemeinen Wesens, sondern auch Glied desselben, d. i. aus eigener Will-kür in Gemeinschaft mit anderen handelnder Teil desselben sein will.“ (MdS. 432 f.).
BVerfG: „Das Grundgesetz bezeichnet die von ihm geschaffene Staatsord¬nung als eine frei-heitliche Demokratie. Es knüpft damit an die Tradition des ‚libera¬len bürgerlichen Rechtsstaa¬ts‘ an, wie er sich im 19. Jahrhundert allmäh¬lich herausgebil¬det hat und wie er in Deutschland schließlich in der Weima¬rer Verfassung verwirklicht worden ist.“ (KPD-Urteil 1956, BVerfGE 5, 85 (197).
Die „freiheitliche demokratische Grundordnung“ ist eine Ordnung, „die unter Ausschluß jegli-cher Gewalt- und Will¬kürherr¬schaft eine rechtsstaatli¬che Herrschafts¬ord¬nung auf der Grundlage der Selbstbestim¬mung des Volkes nach dem Willen der jeweiligen Mehrheit und der Freiheit und Gleichheit darstellt“ (BVerfGE 2, 1 (12 f.).
Deutschland ist eine „repräsentative Demokratie“ (BVerfGE 1, 2 ff., Ls 2 Rn. 35; st. Rsp.; BVerfGE 123, 267 ff., Rdn. 215, 286, 288; so auch Art. 10 Abs. 1 EUV). Die „Demokratie“ bedarf der „Repräsentation“ (BVerfGE 123, 267 ff., Rdn. 215, 286, 288; so auch Art. 10 Abs. 1 EUV). Parteien hat das Gericht als „verfassungsrechtlich notwendigen Bestandteile der frei-heitlichen demokratischen Grundordnung“ bezeichnet (BVerfGE 1, 208 (223 ff.); st. Rsp. . So steht das, dieser Judikatur folgend, auch in § 1 Abs. 1 S. 1 ParteienG. „Das Mehrparteien-prinzip und die Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfas-sungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition“ gehören zur freiheitlichen demokrati-schen Grundordnung (BVerfGE 1, 2 ff, LS 2, S. 12 f., Rn. 35; st. Rsp. ). Fraktionen der Par-teien sind Organe des Bundestages (BVerfGE 140, 115 ff., Rn. 56). „Im Zeichen der Ent-wicklung der Parteiendemokratie sind sie notwendige Einrichtungen des Verfassungslebens und maßgebliche Faktoren der politischen Willensbildung (BVerfGE 80, 188 (219). Die Par-teien sind „Wahlvorbereitungsorganisationen“ (BVerfGE 20, 56 (113); 61, 1 (11)). Die politi-schen Parteien üben in der Massendemokratie „entscheidenden Einfluß auf die Besetzung der obersten Staatsämter aus“ (BVerfGE 52, 63 (83).
„Die Ausschüsse des Parlaments sind grundsätzlich gemäß der Fraktionsstärke zu besetzen (Spiegelbildlichkeit; BVerfGE 84, 304 (323 f.)). Fraktionen sind „unverzichtbar“ BVerfGE 1, 208 (224 ff.); 4, 144 (149 ff.); st. Rsp.; BVerfGE 80, 188 (217 ff.).
„Nach Maßgabe des deutschen Wahlrechts wird die verfassungsrechtlich geforderte repräsen-tative Parlamentsherrschaft dadurch erreicht, dass der Wählerwille in der Sitzverteilung mög-lichst proportional abgebildet wird. Eine Mehrheitsentscheidung im Parlament repräsentiert zugleich die Mehrheitsentscheidung des Volkes. Jeder Abgeordnete ist Vertreter des ganzen Volkes und deshalb Mitglied in einer Vertretung der Gleichen (Art. 38 Abs. 1 GG), die unter gleichheitsgerechten Bedingungen zu ihrem Mandat gelangt sind Das Grundgesetz verlangt, dass jeder Bürger frei und im Rechtssinne (vor dem Gesetz) gleich ist. Für das Demokratiege-bot bedeutet dies, dass jedem Staatsangehörigen, der aufgrund seines Alters und ohne den Verlust seines aktiven Wahlrechts wahlberechtigt ist, ein gleicher Anteil an der Ausübung der Staatsgewalt zusteht (BVerfGE 123, 267 ff., Rn. 214; vgl. BVerfGE 112, 118 [133 f.]): Die Gleichheit der Wahlbürger muss sodann auf weiteren Stufen der Entfaltung demokratischer Willensbildung, insbesondere im Status des Abgeordneten, fortwirken. Zum Status der Abge-ordneten gehört deshalb das in Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG gewährleistete Recht auf gleiche Teilhabe am Prozess der parlamentarischen Willensbildung (BVerfGE 123, 267 ff., Rn. 214; vgl. BVerfGE 43, 142 [149]; 70, 324 [354]; 80, 188 [218]; 96, 264 [278]; 112, 118 [133]).“
„Der verfassungsrechtliche Schutz der Opposition wurzelt im Demokratieprinzip nach Art. 20 Abs. 1, Abs. 2 und Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG (BVerfGE 142, 24 ff., Rn. 86; vgl. auch BVer-fGE 2, 1 (13); 44, 308 (321); 70, 324 (363)). Aus dem Mehrheitsprinzip nach Art. 42 Abs. 2 GG und den – eine punktuelle Durchbrechung des Mehrheitsprinzips darstellenden – parlamen-tarischen Minderheitenrechten nach Art. 23 Abs. 1a Satz 2, Art. 39 Abs. 3 Satz 3, Art. 44 Abs. 1 Satz 1, Art. 45a Abs. 2 Satz 2 und Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG folgen der Respekt vor der Sachentscheidung der parlamentarischen Mehrheit und die Gewährleistung einer realistischen Chance der parlamentarischen Minderheit, zur Mehrheit zu werden (vgl. BVerfGE 5, 85 (198 f.); 44, 308 (321); 70, 324 (363); 123, 267 (367)). Dahinter steht die Idee eines – inner- wie außerparlamentarischen – offenen Wettbewerbs der unterschiedlichen politischen Kräfte, welcher namentlich voraussetzt, dass die Opposition nicht behindert wird (vgl. BVerfGE 123, 267 (341 f.)). Demgemäß ist die Bildung und Ausübung einer organisierten politischen Oppo-sition konstitutiv für die freiheitliche demokratische Grundordnung (vgl. BVerfGE 2, 1 (13); 5, 85 (199); 123, 267 (367)).“
KAS: Das Grundgesetz verfaßt die „Bundesrepublik Deutschland“ nicht als Demokratie, son-dern als Republik, als „demokratischen und sozialen Bundesstaat“ (Art. 20 Abs. 1 GG). Von „Demokratie“ ist im Grundgesetz nirgends die Rede, sondern von einer „freiheitlichen demo-kratischen Grundordnung“ (u. a. Art. 18, Art. 21, Art. 87 a, Art. 91 GG). Ein Adjektiv ist kein Substantiv. Deutschland hat ein demokratisches Prinzip. Der Begriff der „repräsentativen De-mokratie“ versucht, den Parteienstaat als Demokratie auszugeben. „Repräsentation“ ist eine systemverändernde Qualifizierung der Volksvertretung. Vertretung wird als Repräsentation auch sprachgeschichtlich zur Herrschaft (Adalbert Podlech, Repräsentation, 1984 , S. 509). Herrschaft ist das Gegenteil von Freiheit (dazu 2).
Die Wirklichkeit in Deutschland ist ein oligarchischer Parteienstaat .
Gerhard Leibholz, von 1951 bis 1971 Richter des Bundesverfassungsgerichts, hat auf die Entwicklung der Verfassungsjudikatur systemverändernden Einfluß ausgeübt. Er hat durch seine „phänomenologische“ Parteienstaatslehre, eine offen ideologische Parteienstaatsdoktrin, den Parteienstaat zu legalisieren und in weiten Teilen der Bürgerschaft zu legitimieren ver-mocht :
Der „durch die Parteien gebildete Volks- und Gemeinwille in der parteienstaatlichen Demo-kratie wird nicht mit Hilfe des Prinzips der Repräsentation, sondern mit Hilfe des Prinzips gebildet, das auch in der plebiszitären Demokratie zur volonté générale führt“. „Wie in der plebiszitären Demokratie der Wille der Mehrheit der Aktivbürgerschaft mit dem jeweiligen Gesamtwillen des Volkes identifiziert wird, wird im funktionierenden parteienstaatlichen Demokratie der Wille der jeweiligen Parteienmehrheit in Regierung und Parlament mit dem Volks- und Gemeinwillen identifiziert“. Die Parteien sind „plebiszitäres“ “Surrogat der un-mittelbaren Demokratie im Flächenstaat“ . Gerhard Leibholz hatte keinen Zweifel daran, daß der Parteienstaat mit der Weimarer Verfassung unvereinbar sei, und Art. 21 GG als „parteien-staatliche Revolution“ bewertet .
Der Parteienstaat läßt den Bürgern entgegen Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG keine Chance ihre Staatsgewalt auszuüben. Die Parteienoligarchie entmachtet die Bürger. Ihre Maxime ist ihre Macht, nicht das Wohl des Volkes. Das Recht der Bürger, in allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahlen Vertreter des ganzen Volkes in den Deutschen Bundes-tag zu wählen (Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG), ist im oligarchischen Parteienstaat pervertiert. Nur die Parteien können auf Bundesebene Wahllisten einreichen. Nicht einmal die passiven Wahlen genügen den im Parteienstaat den wahlrechtlichen Grundsätzen des Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG, weil die Nominierung der Kandidaten bei den Parteien faktisch gänzlich und rechtlich für die Listen der Verhältniswahl verbindlich monopolisiert ist . Abstimmungen werden auf Bundes-ebene entgegen dem Grundgesetz gar nicht erst durchgeführt.
Das parteiliche Verhältniswahlsystem, nicht im Grundgesetz verankert, sondern durch Gesetz eingeführt, verletzt die wesentlichen Wahlprinzipien und führt unvermeidlich zum Parteien-staat. Es werden nicht „an Aufträgen und Weisungen nicht gebundene und nur ihrem Gewis-sen unterworfene“ Abgeordnete (Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG) gewählt, sondern Parteifunktionäre. Es wird eine plurale Einheitspartei legitimiert, deren Herrschaft essentielle Opposition nicht zu dulden bereit ist. Nur eine wirkliche und wirksame Opposition vermag die Politik der Parla-mentsmehrheit zu beeinflussen, solange diese Wahlen fürchten muß. Die Wähler haben im Verhältniswahlsystem in ihrer Gesamtheit lediglich Einfluß darauf, wie stark eine Partei im Parlament vertreten ist. Die Sperrklauseln verhindern eine gleichheitliche Vertretung der Wäh-lerschaft im Parlament. Die Grundmandatsklausel ist fragwürdig. Nur das Mehrheitswahlrecht kann zu einer demokratischen Willensbildung führen, führt aber regelmäßig zum Zweipartei-ensystem. Zum Demokratismus des Parteienstaates gehört das freiheitswidrige Mehrheitsprin-zip des Verhältniswahlrechts. Das Mehrparteienprinzip, das das Bundesverfassungsgericht zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung zählt, die es zugleich als ein Herrschaftssystem qualifiziert, dementiert die Freiheitlichkeit der Verfassung Deutschlands.
Die „politische Willensbildung des Volkes“ begrenzen die Parteien im Wesentlichen auf den dauernden Kampf um die Mandate in den Parlamenten. Um ihre jeweilige Akzeptanz sind die Parteien stetig bemüht, nicht nur weil zumal im Bundestaat ständig Wahlen in den vielen Ländern und im Bund abgehalten werden und die relevanten Parteien bundesweit agieren. Die Parteien bemühen sich notgedrungen bundesweit um die Akzeptanz der Bürger, weil sie trotz ihrer Landesorganisation eine jeweilige bundesweite Einheit sind und von der Öffent-lichkeit verantwortlich gemacht werden und die ständig gemessene Akzeptanz auf lange Dau-er für ihre berufsmäßig ausgeübte Parteiarbeit benötigen.
Die Bürger, die nach Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG die Staatsgewalt auszuüben das ‚Amt‘ haben, sind der praktischen Vernunft, dem Gemeinwohl, verpflichtet. Sie werden als Bürger für die politische Willensbildung des Volkes allenfalls zum Schein in Anspruch genommen. Das Sit-tengesetz ist für die Bürger auch bei den Wahlen verbindlich; denn die Wahlen sind u. a. „frei“ (Art. 38 Abs. 1 S. 1GG). Ihre Wahl ist freie Willkür. Die praktische Vernunft, der Wille des Gemeinwesens, verpflichtet die Bürger nicht zur Wahl, schon gar nicht zur Wahl bestimm-ter Kandidaten oder Parteilisten.
Die den Parteien durch Art. 21 Abs. 1 S. 1 GG zugestandene „Mitwirkung an der politischen Willensbildung des Volkes“ ist geradezu unausweichlich zur alleinigen politischen Willensbil-dung der Parteien geworden. Die Medien, deren Macht, wie schon 5 zu angesprochen, entge-gen der geringen Sachkenntnisse der Journalisten und trotz regelmäßig gänzlichen Mangels an Rechtskenntnissen geradezu erdrückend ist. Die Klage ist alt, aber die „Herrschaft des Rechts“ sollte auch nicht zur Herrschaft ausschließlich der Richter werden. Die Staatsange-hörigen sind, soweit es möglich bleibt, Deutschland eine ‚Demokratie‘ zu nennen, entbürger-licht (zur Bürgerlichkeit 2). Es ist decouvrierend, daß die ‚demokratische Elite‘ sich genötigt gesehen hat, jeweils am 15. September einen Internationalen Tag der Demokratie zu ‚feiern‘, den die Generalversammlung der Vereinten Nationen 2007 beschlossen haben, um für die Grundsätze der Demokratie zu werben. Die Bürger haben allenfalls einen begrenzten Einfluß auf die Mehrheitsverhältnisse der Parteien im Parlament. Dennach gilt: „Politik ist ausübende Rechtslehre“ (Kant, ZeF, S. 229). Der Rechtsstaat ist unverzichtbar und ohne Demokratie gibt es keinen Rechtsstaat, wie es auch ohne Rechtstaat keine Demokratie gibt.
Ihre Einflußmöglichkeiten nehmen die Bürger wahr, ohne wirklich zu wissen, was sie tun. Sie werden nicht über die Politik der Parteien informiert, sondern von diesen mittels Propaganda indoktriniert. Allein schon das Fraktions- und Koalitionswesen im Parlament macht den politi-schen Willen der Wähler, den sie bei ihrer Wahl zum Ausdruck bringen, weitestgehende irre-levant. Eine begrenzte Orientierung der Parteien und damit des Staates am Gemeinwohl und somit an der praktischen Vernunft ergibt sich daraus, daß die Parteien sich der Allgemeinheit oder zumindest einem Teil derselben zuwenden müssen, um gewählt zu werden. Die Parteien müssen somit nach Möglichkeit dem Allgemeinwillen gerecht werden, den sie allerdings auch zu lenken versuchen. Die bloße Willkür von Wählern wird somit durch die ‚Repräsentation‘ des Volkes durch die Parteien abgewehrt. Nur fragt sich, ob dieses System noch demokratisch ist oder eben oligarchisch? Die Antwort versteht sich von selbst. Man kann so gut wie jedes politisches System demokratisch nennen. So geschieht das ja auch, selbst wenn nicht mehr gemäß den unverzichtbaren Wahlgrundsätzen gewählt werden darf oder einem großen Teil der Wähler durch antidemokratische Ächtung ihrer Wahl der Einfluß auf die Politik verwehrt wird.
Die Parteifunktionäre sollen den Parteiwillen durchsetzen. Dem dient die Geschlossenheits-maxime der Parteien. Die Parteien bestimmen, wer einen Listenplatz bekommt und damit die Chance hat, in das Parlament gewählt zu werden. Die Abgeordneten unterwerfen sich deshalb einer demokratiefernen ‚Herrschaftselite‘, statt ihrer Pflicht nachzukommen, in Vertretung des ganzen Volkes den Allgemeinwillen der Volkes zur Geltung zu bringen. Dieser Allge-meinwille kann nur von den ‚Besten‘ auf Grund der Wahrheit erkannt werden. Diese Abge-ordneten sind „an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unter-worfen“. Davon kann im Parteienstaat keine Rede sein. Allein die Koalitionsverträge wider-sprechen dem Grundsatz. Verpflichtungen, deren Verletzungen nicht sanktioniert werden, sind keine Rechtspflichten; denn „Recht ist mit der Befugnis zu zwingen verbunden“ (Kant, MdS, S. 338 f.)
In keiner Partei „entspricht die innere Ordnung demokratischen Grundsätzen“, wie das Art. 21 Abs. 1 S. 3 GG den Parteien vorschreibt. Insbesondere besteht in den Parteien keine Mei-nungsäußerungsfreiheit (dazu 5). Die „politische Willensbildung des Volkes“ erfolgt in den Führungsgremien der Parteien, ausnahmeweise in ‚Urabstimmungen‘ der Parteimitglieder. Deren Politik ist für ihre Fraktionen, faktisch, nicht rechtlich, verbindlich, in ‚Koalitionsverträ-gen‘ festgelegt (Kanzler- und Koalitionsdemokratie), richtiger wäre zu sagen: Koalitionsab-sprachen. Verträge sind ihrem Begriff nach verbindlich, Absprachen nicht. Oft bleiben sie geheim. Im Parteienstaat herrschen die Führer oder Führungsgruppen der Parteien.
Macht der Mehrheit der Wähler, der Sache nach immer die Macht einer kleinen Minderheit in den Parteien, kann für die Minderheit der Wähler keine Verbindlichkeit begründen, selbst wenn die Legislativakte in der Form der verfassungsgebotenen Gesetzgebung erlassen wer-den. Die ‚Mehrheit‘ der Wähler ist ohnehin selten die Mehrheit der Bürger. Eine Mehrheits-herrschaft verletzt die Würde des Menschen (dazu 1und 4). Die Rousseausche Irrtumslehre ist dogmatisch richtig, aber praktisch wenig bedeutsam. Das Argument des Bundesverfassungs-gerichts, daß die Minderheit zur Mehrheit werden könne (wie oben zitiert, BVerfGE 142, 24 ff., Rn. 86) ist brüchig. Solange die Mehrheiten sich nicht verändert haben, bleibt die Minder-heit ‚Untertan‘ der Mehrheit. Es gibt zudem Minderheiten, die nie zur Mehrheit werden, weil sie nicht homogen der Mehrheit sind. Wenn die Wähler einer Minderheit so zahlreich werden, daß deren Partei oder Parteien die Mehrheit im Parlament bilden, werden die alten Mehrheiten zur untertänigen Minderheit. Der Heterogenität können mancherlei nicht oder kaum änderbare Unterschiedlichkeiten zu Grunde liegen, insbesondere nationale, religiöse, wirtschaftlicher Status u. a. Das Argument des Gerichts setzt umfassende Integration aller Bürger voraus, et-wa die Überwindung der Unterschiede, die nach Art. 3 Abs. 3 GG eine Bevorzugung oder Benachteiligung verbieten. Wollte man dieses Verbot auf die Wahlen anwenden, wäre das das Ende der Wahlfreiheit und damit das Ende des Versuchs, ‚demokratische‘ Verhältnisse zu schaffen. Ohne Homogenität der Bürgerschaft haben die hehren Prinzipien des Grundgeset-zes keine Verwirklichungs-chance. Das Postulat der Vielfalt der Religionen usw. ist der Weg in die Unterdrückung durch den Staat in der Hand einer Mehrheitsoligarchie.
Hans Herbert von Arnim hat das bestens dargelegt (Das System. Die Machenschaften der Macht, 2001, S. 250 ff., 262,; u. ö). Werner Mäder hat wesentliche Gründe dafür genannt (Die Zerstörung des Nationalstaates aus dem Geist des Multikulturalismus, 2015, insb. S. 43 ff.).
Karl Jaspers, Wohin treibt die Bundesrepublik? Tatsachen, Gefahren, Chancen, 1966, 10. Aufl. 1988, S. 131, 143 f.:
„Selbst die Wahlen sind keine eigentlichen Wahlen, sondern Akklamationen zur Parteieno-ligarchie.“
„Die Parteienoligarchie will die Sicherung ihrer selbst. Sie identifiziert sich mit dem Staat an sich und mit dem Volke. Die Sicherung der Parteienoligarche tötet schließlich das politische Leben der bundesdeutschen Bevölkerung.“
Der demokratische Parteienstaat ist die Verfallsform der Republik. Er macht den rechtlichen, wirtschaftlichen, sozialen und auch kulturellen Niedergang unausweichlich . Kein Staatsden-ker von Format, von Platon, Aristoteles und Cicero über Hobbes und Locke und Montesquieu bis Kant und Hegel, Nietzsche und Carl Schmitt hat den Parteien Achtung gezollt.
8. Parteienstaat versus Gewaltenteilung (Art. 20 Abs. 1, Abs. 2 und Abs. 3 GG)
Kant: „Die bürgerliche Verfassung in jedem Staate soll republikanisch sein. Die erstlich nach Prinzipien der Freiheit der Glieder einer Gesellschaft (als Menschen); zweitens nach Grundsät-zen der Abhängigkeit aller von einer einzigen gemeinsamen Gesetzgebung (als Untertanen); drittens, die nach dem Gesetz der Gleichheit derselben (als Staatsbürger) gestiftete Verfas-sung – die einzige, welche aus der Idee des ursprünglichen Vertrages hervorgeht, auf der alle rechtliche Gesetzgebung eines Volks gegründet sein muß – ist die republikanische“ (ZeF, S. 204). „Damit man die republikanische Verfassung nicht (wie gemeiniglich geschieht) mit der demokratischen verwechsele, muß folgendes bemerkt werden. Die Formen eines Staats (civi-tas)…Alle Regierungsform nämlich, die nicht repräsentativ ist, ist eigentlich eine Unform, weil der Gesetzgeber nicht in einer und derselben Person zugleich Vollstrecker seines Willens sein (so wenig wie das Allgemeine des Obersatzes in einem Vernunftschlusse zugleich die Sub-sumtion des besonderen unter jenen im Untersatz) sein kann“ (ZeF, S. 206 f.; siehe auch MdS, S. 431 f., 435 f.). „Die zweite ist die Form der Regierung (forma imperii), und betrifft die auf die Konstitution (den Akt des allgemeinen Willens, wodurch die Menge ein Volk wird) ge-gründete Art, wie der Staat von seiner Machtvollkommenheit Gebrauch macht: und ist in die-ser Beziehung entweder republikanisch oder despotisch. Der Republikanism ist das Staats-prinzip der Absonderung der ausführenden Gewalt (der Regierung) von der gesetzgebenden; der Despotismus ist das der eigenmächtigen Vollziehung des Staates von Gesetzen, die er selbst gegeben hat, mithin der öffentliche Wille, sofern er non dem Regenten als sein Privat-wille gehandhabt wird.“ (ZeF, S. 207; zur Demokratie als Despotie zu 7).
„Ein jeder Staat enthält drei Gewalten in sich, d. i. den allgemeinen Willen in dreifacher Per-son (trias politica): Die Herrschergewalt (Souveränität), in der des Gesetzgebers, die vollzie-hende Gewalt, in der des Regierers (zu Folge dem Gesetz) und die rechtsprechende Gewalt (als Zuerkennung des Seinen eines jeden nach dem Gesetz), in der Person des Richters (po-testas legislatoria, rectoria et iudicaria …“ (MdS. S. 431 f., siehe auch S. 434 ff.). „In ihrer Vereinigung besteht das Heil des Staats (salus reipublica suprema lex est); … (MdS, S. 437).
Die Dogmatik Kants folgt der Gewaltenteilungslehre von Charles de Secondat, Baron de Montesquieu, L’esprit des loix, 1748.
BVerfG: „Die Gewaltenteilung ist ein tragendes Organisationsprinzip des Grund¬gesetzes. Seine Bedeutung liegt in der politischen Machtver¬teilung, dem Ineinandergreifen der drei Gewalten und der daraus resultierenden Mäßigung der Staatsherrschaft. Dieses Prinzip ist jedoch nirgends rein verwirklicht. Auch in den Staatsordnungen, die das Prinzip anerkennen, sind gewisse Über-schneidungen der Funktio¬nen und Einflußnahmen der einen Gewalt auf die andere gebräuch¬lich“ (BVerfGE 3, 225 (247). Die Gewaltentrennung ist die Vorausset-zung der Gewaltenhem-mung, die durch „zahlreiche Gewaltenverschränkungen und – balan-cierungen“ die „gegenseiti-ge Kontrolle, Hemmung und Mäßigung der Gewalten“ bewirkt und dem Mißbrauch der Ämter entgegenwirkt. BVerfGE 15, 1 (15). Der „Kernbereich der ver-schiedenen Gewalten ist unverän-derbar“ (ebenda).
KAS: Im Parteienstaat hat die horizontale Gewaltenteilung zwischen Gesetzgebung, vollzie-hender Gewalt und Rechtsprechung (Art. 20 Abs. 3 GG) keine Wirklichkeit, wenn die Ge-setzgebung die Willkür der Mehrheiten, sprich der Mehrheitsparteien, verbindlich macht, also, um mit Kant zu sprechen, deren „Privatwillen., mit Rousseau dem volonté des tous. Das Ge-geneinander der Regierungsmehrheit und der Opposition gilt als Neuer Dualismus (dazu KAS, Res publica res populi, S. 802 ff.; Prinzipien des Rechtsstaates, S. 178 ff.). Gegenüber einer wirksamen Opposition bilden die Mehrheitsparteien eine plurale Einheitspartei.
Die republikanische, freiheitliche Gesetzgebung ist aber die Erkenntnis des Allgemeinwillens (Kant), der volonté générale (Rousseau). Der Allgemeinwillen ist der des Volkes , nicht der von irgendwelchen Parteien, die ihre Mehrheit der Mandate ihrer Funktionäre nutzen, um ihre Interessen, meist die an Macht (Mandate) und Geld (der Steuerzahler), zu verwirklichen. Der Wille des Volkes ist das Gesetz. Die Legislative, vom Grundgesetz als Gesetzgeber bezeich-net, stellt durch den Beschluß des Gesetzes verbindlich den Willen des Volkes fest. Die Exe-kutive, die vollziehende Gewalt, verwirklicht den Willen des Volkes, indem sie die Gesetze durch Verwaltungsmaßnahmen vollzieht. Die Judikative, die Rechtsprechung, schützt den Willen des Volkes durch Richtersprüche, die sie gemäß den Gesetzen nach Maßgabe des Rechts trifft. Diese Gewaltenteilung steht in Art. in Art. 20 Abs. 2 S. 2 und Abs. 3 GG. Sie ist die klassische Gewaltenteilung. Freilich ist nicht mehr ein Monarch souverän, sondern die Bürgerschaft. Verbindlich ist nicht mehr der im Gesetz ausgesprochene Wille des Monarchen, sondern der des Volkes, organisiert in einer Republik.
Carl Schmitt, Verfassungslehre, S. 10:
„Die Einheit des Deutschen Reiches beruht nicht auf jenen 181 Artikeln und ihrem Gelten, sondern auf der Existenz des deutschen Volkes. Der Wille des deutschen Volkes also etwas Existenzielles, begründet, über alle systematischen Widersprüche, Zusammenhangslosigkeiten und Unklarheiten der einzelnen Verfassungsgesetzes hinweg, die politische und staatsrechtli-che Einheit.“
Carl Schmitt wird gern mißverstanden, aber diese Lehre ist rousseauistisch und kantianisch, nämlich republikanisch.
Die Mehrheitsparteien bestimmen die Mitglieder in allen Staatsorganen, in den Gesetzge-bungsorganen die Mehrheit der Mitglieder, in den Regierungen alle Mitglieder und in der vollziehenden Gewalt zumindest außer den Ministern auch die Staatssekretäre und Ministeri-aldirektoren, bei längerer Herrschaft fast aller Bediensteten. Einen begrenzten Schutz dagegen gibt der Beamtenstatus, aber auch die arbeitsrechtliche Unkündbarkeit (Art. 33 Abs. 4 und 5 GG). Dieser Einfluß der Parteien auf die zweite und dritte Gewalt ist mit einer Gewaltentei-lung unvereinbar. Die Staatspraxis führt das alltäglich vor Augen. Im Einvernehmen wählt die plurale Einheitspartei auch die Richter des Bundesverfassungsgerichts aus, die folglich diesen Parteien gefällig judizieren. Auch das widerspricht dem Grundsatz der materieller Gewalten-teilung (zur Gewaltenteilung, besser: Funktionenteilung, KAS, Res publica res populi, S.168 ff., 560 f.: Prinzipien des Rechtsstaates, S. 167 ff., 176 ff. )
Die Vielheit der Länder im Bundesstaat mit eigenen Staatsgewalt (BVerfGE 1, 14 (34)¸st. Rsp. BVerfGE 81, 310 (331); KAS, Souveränität, S. 403 ff.), der Föderalismus, gehört zur vertikalen Gewaltenteilung. Diese wird im Parteienstaat auch wegen des Bundesrates, dessen Mitglieder den Bundestagsparteien anzugehören pflegen, weitgehend unterlaufen.
Mit der Gewaltenteilung ist im Parteienstaat ein Eckstein der freiheitlichen rechtsstaatlichen Republik, wenn man so will, der freiheitlichen demokratischen Grundordnung abhandenge-kommen. Freiheitliche Volksvertretung (dazu 7) und rechtsstaatliche Gewaltenteilung sind es-sentielle Institutionen einer Republik.
9. Recht und Gesetz (Art. 20 Abs. 3, Art. 97 Abs. 1, Art. 93, Art. 100 GG)
Kant: „Allgemeines Prinzip des Rechts“: „Eine jede Handlung ist recht, die oder nach deren Ma¬xime die Frei¬heit der Will¬kür eines jeden mit jeder¬manns Freiheit nach einem allgemeinen Gesetze zusam¬men bestehen kann etc. (MdS, S. 337).
„Also ist das allgemeine Rechtsgesetz: handle äußerlich so, daß der freie Gebrauch deiner Will-kür mit der Freiheit von jedermann nach einem all¬gemeinen Gesetze zusammen bestehen kön-ne, zwar ein Gesetz, welches mir eine Verbindlichkeit auf¬erlegt, aber ganz und gar nicht erwar-tet, noch weniger fordert, daß ich, ganz um dieser Verbindlichkeit willen, meine Freiheit auf jene Bedingun¬gen selbst einschrän¬ken solle, sondern die Ver¬nunft sagt nur, daß sie in ihrer Idee darauf eingeschränkt sei und von andern auch tätlich einge¬schränkt werden dürfe; und dieses sagt sie als ein Postulat, welches gar keines Beweises weiter fähig ist“ (MdS, S. 338).
„Das Recht ist also der Inbegriff der Bedingungen, unter denen die Willkür des einen mit der Willkür des anderen nach einem allgemeinen Gesetze der Freiheit zusammen vereinigt werden kann“ (MdS, S. 337; vgl. auch ÜdG, S. 144). „Von dem Willen gehen die Gesetze aus; von der Willkür die Maximen…“ (MdS, S. 332, dazu 3). Gesetze sind „der allgemein vereinigte Volkswille“ (MdS, S. 432; auch ÜdG, S. 150 ff.).
„Alles Recht hängt nämlich von Gesetzen ab“ (ÜdG, S. 150)
„ (denn der Souverän, der sie (sc.: die Gesetze) gibt, ist gleichsam unsichtbar; er ist das perso-nifizierte Gesetz selbst, nicht Agent) (ÜdG, S. 149).
Die „Gesetze sind von mir durch bloße Vernunft erkennbar“ (ZeF, S. 205).
Jedermann kann die Gesetze erkennen, wenn er „nur Verstand hat“, „selbst ein Volk von Teu-feln“ (ZeF, S. 224).
„Sondern es ist eine bloße Idee der Vernunft, die aber ihre unbezweifelte (praktische) Realität hat: nämlich jeden Gesetzgeber zu verbinden, daß er seine Gesetze so gebe, als sie aus dem vereinigten Willen eines ganzen Volkes habe entspringen können, und jeden Untertan, so fern er Bürger sein will, so anzusehen, als ob er zu einem solchen Willen mit zusammen gestimmt habe“.
„Was ein Volk nicht über sich selbst beschließen kann, das kann auch der Gesetzgeber auch nicht über das Volk beschließen“ (ÜdG. S. 162).
„Der Satz: Salus publica suprema civitatis lex est, bleibt in seinem unverminderten Wert und Ansehen; aber…“ (ÜdG, S. 154).
„Das Recht ist mit der Befugnis zu zwingen verbunden“ (MdS, S. 338 f., 527; vgl. auch ÜdG, S .144 f., 146 f.). Der Zwang ist eine „Verhinderung eines Hindernisses der Freiheit“ (MdS, S. 338 f., 527).
Politik ist „ausübende Rechtslehre“ (ZeF, S. 229). „Die wahre Politik kann also keinen Schritt tun, ohne vorher der Moral gehuldigt zu haben,…“ (ZeF, S. 243). Moral („Handle pflichtmä-ßig, aus Pflicht“ (MdS, S. 521, 523; dazu zu 3) unterliegt dem Selbstzwang (MdS, S. 508, 512, auch 338 f.).
BVerfG: Das Bundesverfassungsgericht unterscheidet gemäß Art. 20 Abs. 3 GG „Gesetz und Recht“ (BVerfGE 3, 58 (119); 54, 53 (67 f.); st. Rspr.). Die „Formel in Art. 20 Abs. 3 GG hält das Bewußtsein aufrecht, daß sich Gesetz und Recht zwar faktisch im allgemeinen, aber nicht notwendig und immer decken“ (BVerfGE 9, 338 (349); 34, 269 (286 ff.)). Das Gericht leitet aus dem Wort „Recht“ die Befugnisse des Richters „zur schöp¬ferischen Rechtsfindung her, welche verfassungs¬mäßige Wertvor¬stellungen, die in den Texten der geschriebenen Gesetze nicht oder nur unvollkommen Ausdruck erlangt haben, ohne Willkür nach den Maßstäben der praktischen Vernunft und den fundierten allgemeinen Gerechtigkeits¬vorstellungen der Ge-meinschaft verwirklicht“ (daselbst). Das Gericht lehnt erklärter¬maßen einen „engen Gesetzes-positivismus“ ab (daselbst) .
KAS: Recht ist das Richtige für das allgemeine Wohl des Volkes auf der Grundlage der Wahr-heit (KAS, Res publica res populi, S. 567 ff., 978 ff.; Prinzipien des Rechtstaates, S. 21 f.). Das Recht ist der Allgemeinwille, der Wille des Volkes, die praktische Vernunft, die Sitt-lichkeit des kategorischen Imperativs. Frei ist, wer unter dem eigenen, aber der Idee der Freiheit gemäßen, allgemeinen Gesetz lebt (KAS, Res publica res populi, S. 253 ff., 275 ff,. 325 ff., 410 ff., 441 ff.; Freiheit in der Republik. S. 34 ff.)
Die Gesetzlichkeit der Freiheit ist schon zu 3 erörtert. Die Judikatur und Lehre, die dogmati-siert, daß die Gesetze die Freiheit einschränken, widerspricht nicht nur dem Wortlaut des Art. 2 Abs. 1 GG, sondern ist, wenn man so will, rechtsphilosophisch, abwegig (KAS, Res publica res populi, S. 441 ff., Freiheit in der Republik, S. 115 ff., 274 ff., 343 ff.).
Friedrich Kaulbach. Die rechtsphilosophische Version der transzendentalen Deduktion , S. 54:
„Rechtliches Handeln beruht nicht auf der Willensentscheidung für Normen, die als recht er-kannt wurden; vielmehr tragen Normen dann rechtlichen Charakter, wenn sie gesetzgeberisch vom Rechtswillen, der zugleich gemeinschaftlicher Wille ist, zur Geltung gebracht werden“
Die Gesetzgeber von Bund und Ländern sind an die verfassungsmäßige Ordnung gebunden (Art. 20 Abs. 3 GG) und demgemäß dem Recht verpflichtet. Der Begriff der „verfassungs-mäßige Wertvor¬stellungen“ ist nicht identisch mit dem der „verfas-sungsmäßigen Ordnung“, der in den Grundrechtstexten steht. Die „verfassungsmäßige Ordnung“ ist die des Grundge-setzes, die die Staatsorgane zu beachten haben. „Verfassungs¬mäßige Wertvor¬stellungen“, wie sie das Bundesverfassungsgericht anspricht, sind Materialisierung der „praktischen Vernunft“, diskursive Erkenntnis des Allgemeinwillens, der volonté générale, der Gerechtigkeit. KAS, Res publica res populi, S. 995 ff.:
Gerechtigkeit ist Gesetzlichkeit, wenn die Gesetze dem Recht genügen.
Die Erkenntnis des Rechts bezeichnet das Gericht als „schöp¬ferischen Rechtsfindung“. Diese verlangt φρόνησις (phrónēsis), prudentia, Klugheit und Vernunft. Das folgt auch daraus, daß die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung an Gesetz und Recht gebunden sind (Art. 20 Abs. 3 GG). Wesentlich ist, daß ein Rechtsstaat, der Deutschland sein soll und sein will, an das Recht gebunden ist. Nur das Recht, die praktische Vernunft, verwirklicht den Willen des Volkes, dessen Freiheit. Die Verfassung ist die existentielle Grundlage des Staates, wie Art. 79 Abs. 3 GG erweist. Das Verfassungsgesetz ist ein Akt der Politik, der seine Rechtlichkeit nicht gewährleistet. Es gibt verfassungswidrige Verfassungsgesetze (BVerfGE 109, 279 ff., Rdn. 367, 370, von der Senatsmehrheit abweichende Meinung).
Die Aussetzung der Schuldenbremse des Art. 109 Abs. 3 GG gehört genausowenig wie die Schuldenbremse selbst zur Verfassung, sondern beide sind bloße Verfassungsgesetze, welche mit den qualifizierten Mehrheiten des Art. 79 Abs. 2 GG geändert werden können. Sie haben keine existentielle Relevanz für Deutschland, wie die Praxis zeigt (dazu 8). Kreditaufnahmen allerdings, um einen fremden Krieg oder gar eines Angriffskrieg zu unterstützen, wie es die Finanzierung und militärischen Unterstützung der Ukraine im Krieg mit Rußland, ohne eine Bündnisverpflichtung, sind (KAS, Nationalstaat und Souveränität, 2. Teil, 3. Kapitel 4 a, S 223 ff.), bringen die existentiell Gefahr mit sich, daß Deutschland Kriegspartei wird, wenn es das nicht schon ist. Ein Krieg bedroht die Existenz.
Das Recht wird durch Gesetze, aber auch durch Gewohnheitsrecht, Völkerrecht und weitere Rechtsquellen einschließlich der Rechtsprechung, insbesondere der Verfassungsrechtspre-chung, materialisiert. Die Rechtlichkeit der Gesetze hängt von der Sittlichkeit des Gesetz-gebers und diese von der Moralität der Abgeordneten ab (KAS, Res publica res populi, S. 560 ff., 584 f., 637 ff, insb. S. 707 ff.; Nationalstaat und Souveränität, 2. Teil, 2. Kapitel 2, S. 140 ff.). Die Gesetzgebung muß die grundgesetzliche Ordnung der Zuständigkeiten und Verfah-ren einhalten. Über die Rechtlichkeit der Gesetze entscheidet jedes Gericht, letztlich das Bundesverfassungsgericht, wenn die Verletzung des Grundgesetzes in Frage steht (KAS, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 244 ff.). Die Bürger haben ein Recht auf Recht (KAS, Res publica res populi, S. 819 ff. ).
Das Bundesverfassungsgericht mißbraucht mehr und mehr die Macht, die ihm aus der Befug-nis zur verbindlichen Erkenntnis des Rechts (§ 31 Abs. 1 BVerfGG) erwächst. Es hat fast allen Rechtssätzen des Grundgesetzes die rechtsstaatlich gebotene subsumtionsfähige Be-stimmtheit genommen (KAS, Staatsrecht in der Corona-Pandemie, Teil A, II, S. 28 ff.) und damit Deutschland einer neuen rechtsstaatsfernen ‚Verfassung‘, anders formuliert, seiner Macht unterworfen. Seine weitgehend die materiellen Rechtssätze ersetzenden Entschei-dungsmaximen: „Werte“, „Höchstwert“, „Kernbereich“, „Abwägung“, „Verhältnismäßigkeit“ u. a. mögen um Sachlichkeit bemüht sein, relativieren aber die Rechtsbegriffe und ermöglichen dem Gericht politische Willkür. So beschränkt es den Schutz der Gewaltenteilung auf den „Kernbereich der Exekutive“ (BVerfG, Beschluß vom 19. November 2021, 1 BvR 781/21 u. a.). Die Gesetze müssen, dem Recht gemäß, die Gesetzgebungsorgane geben. Das Gericht hat sich vom Hüter der Verfassung nicht nur zum Schutzherren des Parteienstaates entwickelt, sondern auch zum ‚Verfassungsgeber‘ (Kritik auch von Rupert Scholz, Das Bundesverfas-sungsgericht: Hüter der Verfassung oder Ersatzgesetzgeber? III, APuZ 16/1999 19. August 2002).
Das Bundesverfassungsgericht hat seine Bindung an das Grundgesetz und die Gesetze (Art. 97 Abs. 1 S. 1 GG) weitgehend abgeschüttelt und praktiziert, was es für gerecht hält, als Recht, hat aber keine Definition dessen, was Recht ist.
Das Grundgesetz, zumal die Grundrechte, wie sie im Grundgesetz stehen, haben ihre Wirk-kraft eingebüßt.
10. Europäische Union
Kant: „Völker, als Staaten, können wie einzelne Menschen beurteilt werden, die sich in ihrem Naturzustand (d. i. in der Unabhängigkeit von äußeren Gesetzen) schon durch ihr Nebenein-andersein lädieren, und deren jeder, um seiner Sicherheit willen, von den anderen fordern kann und soll, mit ihm in eine, der bürgerlichen ähnliche, Verfassung zu treten, wo jedem sein Recht gesichert werden kann. Dies wäre ein Völkerbund, der aber gleichwohl kein Völkerstaat sein müßte“ (ZeF, S. 208 f.)
„ – so muß es einen Bund von besonderer Art geben, dem man den „Friedensbund, foedus pacificum“, nennen kann, der vom Friedensvertrag (pactum pacis) darin unterschieden sein würde, daß dieser bloß einen Krieg, jener aber alle Kriege auf immer zu endigen suchte. Dieser Bund geht auf keinen Erwerb einer Macht des Staats, sondern lediglich auf Erhaltung und Sicherung der Freiheit eines Staats, für sich selbst und zugleich anderer verbündeten Staaten, ohne daß diese sich deshalb (wie Menschen im Naturzustand) öffentlichen Gesetzen, und ei-nem Zwange unter denselben, unterwerfen dürfen. – Die Ausführbarkeit (objektive Realität) dieser Idee der Föderalität, die sich allmählich über alle Staaten erstrecken soll, und so zum ewigen Frieden hinführt, läßt sich darstellen“ (ZeF, S. 211).
„Für Staaten, im Verhältnisse unter einander, kann es nach der Vernunft keine andere Art ge-ben, aus dem gesetzlosen Zustande, der lauter Krieg enthält, herauszukommen, als daß sie, eben so wie einzelne Menschen, ihre wilde (gesetzlose) Freiheit aufgeben, sich zu öffentlichen Zwangsgesetzen bequemen, und so einen (freilich immer wachsenden) Völkerstaat (civitas gentium), der zuletzt alle Völker der Erde befassen würde, bilden. Da sie diese aber nach ihrer Idee vom Völkerrecht durchaus nicht wollen, mithin, was in thesi richtig ist, in hypothesi ver-werfen, so kann an die Stelle der positiven Idee der Weltrepublik (wenn nicht alles verloren gehen soll) nur das negative Surrogat eines den Krieg abwehrenden, bestehenden, und sich immer ausbreitenden Bundes den Strom der rechtscheuenden, feindseligen Neigung aufhal-ten, doch mit beständiger Gefahr ihres Ausbruchs (Furor impius intus – fremit horridus ore cruento. Vergil)“ (ZeF, S. 212 f.).
„Die Idee des Völkerrechts setzt die Absonderung vieler voneinander unabhängiger Staaten voraus, und, obgleich ein solcher Zustand an sich schon ein Zustand des Krieges ist (wenn nicht eine föderative Vereinigung derselben dem Ausbruch der Feindseligkeiten vorbeugt): so ist doch selbst dieser, nach der Vernunftidee, besser als der Zusammenschmelzung derselben, durch eine die andere überwachende, und in eine Universalmonarchie übergehende Macht; weil die Gesetze mit dem vergrößerten Umfang der Regierung immer mehr an ihrem Nach-druck einbüßen, und ein seelenloser Despotism, nachdem er die Keime des Guten ausgerottet hat, zuletzt doch in Anarchie verfällt. Indessen ist dieses das Verlangen jedes Staates (oder seines Oberhauptes), auf diese Art sich in den dauernden Friedenszustand zu versetzen, daß er, wo möglich, die ganze Welt beherrscht. „Aber die Natur will es anders“. Sie bedient sích zweier Mittel, um Völker von der Vermischung abzuhalten und sie abzusondern, der Ver-schiedenheit der Sprachen und der Religionen, die zwar den Hang zum wechselseitigen Has-se, und Vorwand zum Kriege bei sich führt, aber doch, bei anwachsender Kultur und der all-mählichen Annäherung der Menschen zu größerer Einstimmung in Prinzipien, zum Einver-ständnis in einen Frieden leitet, der nicht, wie jener Despotism (auf dem Kirchhofe der Frei-heit), durch Schwächung aller Kräfte, sondern durch ihr Gleichgewischt, im lebhaftesten Wetteifer derselben, hervorgebracht und gesichert wird.“ (ZeF, S. 225 f.).
„Daß ein Volk sagt: ‚Es soll unter uns kein Krieg sein; denn wir wollen uns zu einem Staat for-mieren, d. i. uns selbst gesetzgebende, regierende und richtende Gewalt setzen, die unsere Strei-tigkeiten friedlich ausgleicht‘ – das läßt sich verstehen“ (ZeF, S. 212).
Eine „Universalmonarchie“ (civitas maxima, Weltstaat) wäre „die größte Gefahr für das Recht und ein seelenloser Despotism, nachdem er die Keime des Guten ausgerottet hat, zuletzt doch in Anarchie verfällt“ (ZeF, S. 225).
Europäische Union (EU): Das „Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung“ und auch „die Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit“ (Art. 5 Abs. 1 EUV) schützen die „jeweilige nationale Identität“ (Art. 4 Abs. 2 EUV). Für „Änderungen der vertraglichen Grundlagen oder vergleichbare Regelungen, durch die dieses Grundgesetz seinem Inhalt nach geändert oder ergänzt wird oder …, gilt Art. 79 Abs. 2 und 3“. Insbesondere die Grundsätze der Art. 1 und 20 GG dürfen nicht berührt werden. Dazu gehört die Staatsgewalt des Volkes als die Souveränität der Bürger. Demgemäß wird u. a. „die Gemeinsame Außen- und Sicher-heitspolitik vom Europäischen Rat einstimmig festgelegt und durchgeführt (Art. 24 Abs. 1 EUV), ebenso „Beschlüsse des Rates zur Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik einschließlich der Beschlüsse des Rates auf Vorschlag … über die Einleitung einer Mission“ (Art. 42 Abs. 4 EUV; auch militärisch). Nach Maßgabe des Art. 48 Abs. 2 bis 5 EUV können völkerrechtliche Verträge die Gründungsverträge ändern (ordentliches Änderungsverfahren). Bestimmte Vorschriften des Arbeitsvertrages (AEUV) „über die internen Politikbereiche der Union“ können nach Maßgabe des Art 48 Abs. 6 und 7 EUV von dem Europäischen Rat, den Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten, nach Zustimmung des Europäischen Parla-ments, (nur einstimmig) getroffen werden (vereinfachtes Änderungsverfahren).
BVerfG: Die Mit¬gliedstaaten „wirken zur Verwirklichung eines vereinten Europas bei der Entwicklung der Europäi¬schen Union mit“, „um einen Teil ihrer Aufgaben gemein¬sam wahr-zunehmen und insoweit ihre Souveränität gemeinsam auszu¬üben“ (vgl. Art. 23 Abs. 1 GG). Zu diesem Zweck haben Deutschland wie auch die anderen Mitgliedstaaten Hoheitsrechte auf die EU übertragen. Deutschland hat einen, „allerdings weit zurückgenommenen, Souveräni-tätsvor-behalt“. Jeder Mitgliedstaat, wie auch Deutschland, kann aus der EU austreten (von mir erkämpftes ,Maastricht-Urteil‘, BVerfGE 89, 155 (200 ff., 204); danach Art. 50 EUV). „Die EU ist kein Staat, kein Bundesstaat“ (BVerfGE 22, 293 (296); 89, 155 (188)). Die ‚Ge-setze‘ der EU werden vom deutschen Gesetzgeber (Bundestag und Bundesrat) legitimiert. Das Europäische Parlament ist „kein Repräsentationsorgan eines souveränen europäischen Volkes“. Es „stützt“ die demokratische Legitimation, meint das Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 89, 155 (186); 123, 276, Rdn. 262, 271). Es gibt entgegen Art. 20 AEUV keine Unionsbürger.
Deutschland ist an die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) gebunden, es sei denn, daß die „Auslegung der Verträge“ „offensichtlich schlechterdings nicht mehr nach-vollziehbar und daher objektiv willkürlich“ ist (BVerfGE 142, 123 ff., Rn. 149).
Die EU darf sich über die ihr zugedachten Eigenmittel hinaus durch Kredite – auch der Euro-päischen Zentralbank – finanzieren (BVerfG, Urteil vom 06. 12. 2022, BVerfGE 164, 193 ff., LS. 2, Rdn. 120 ff., 186 ff., abweichende Meinung des Richters Müller, Rdn. 19 ff.). Es sind derzeit 750 Milliarden Euro.
KAS: Die EU widerspricht trotz gewisser Nähe Kants Schrift zum „ewigen Frieden“.
Die EU zielt auf die „Verwirklichung eines vereinten Europa“, eines freiheitsfernen Großstaa-tes. Zu Europa gehört u. a. auch die Russische Föderation. Diese wird jedoch derzeit auf dem Boden der Ukraine von den USA und der EU mittels Waffenlieferungen, Ausbildung ukraini-scher Soldaten und Kriegspropaganda bekämpft. Deutschland gehört somit nach dem Kriegs-völkerrecht zu den Kriegsparteien (KAS, Nationalstaat und Souveränität, 2. Teil 3. Kapitel 4 a, S. 223 ff., streitig und streitbar). Die EU ist ein internationalistisches Unrechtssystem. Sie respektiert die Souveränität der Mitgliedstaaten nicht, nicht einmal deren Verfassungen. Sie achtet die Grenzen der Übertragungen von Hoheitsrechten der Mitgliedstaaten nicht. Die EU hat, obwohl sie die ‚Demokratie‘ in Art. 2 EUV zu ihren „Werten“ zählt, ein unüberwindliches Demokratiedefizit aller ihrer Organe (KAS, Souveränität, S. 460 ff.; Nationalstaat und Souve-ränität, 2. Teil 5. Kapitel 2, S. 252 ff.). Ihre Herrschaft entdemokratisiert die Mitgliedstaaten und nimmt deren Bürgern die Würde, weil diese unter ‚Gesetzen‘ leben müssen, die sie nicht selbst gegeben haben, sondern überwiegend Regierungen, Parlamentsabgeordnete und Kom-missionsmitglieder aus anderen Staaten als wäre die EU ein „Völkerstaatstaat“. Das Bundes-verfassungsgericht phantasiert, die demokratische Legitimation der EU-Vorschriften liege darin, daß Bundestag und Bundesrat, wenn sie Hoheitsrechte auf die EU übertragen, „voraus-sehen und verantworten“ könnten (BVerfGE 89, 155 (187), welche Maßnahmen die EU tref-fen werde. Das ist abwegig.
Ohne die weitgehende Finanzierung der Mitgliedstaaten durch die EU mit ‚Eigenmitteln‘ (entgegen Art. 123 Abs. 1 AEUV) aus Krediten der EZB (vgl. BVerfG, Urteil vom 06. 12. 2022, BVerfGE 164, 193 ff., LS. 2, Rdn. 120 ff., 186 ff.), wäre die EU längst aufgelöst.
Die Zusage der Bundeskanzlerin Merkel, Deutschland werde mit allen Mitteln verhindern, daß das Bundesverfassungsgericht vertragswidrige Entscheidungen des Europäischen Ge-richtshofs in Deutschland für unanwendbar erklärt, wofür die Kommission ihre Rechtsauf-sichtsklage wegen des PSPP-Urteils des Bundesverfassungsgericht vom 5. Mai 2020 zurück-genommen hat, war ein schweren Verfassungsverstoß. Kein Verfassungsorgan Deutschlands hat dem schmutziger ‚Deal‘ widersprochen. Deutschland hat sich den demokratisch nicht legi-timierten Maßnahmen der EU unterworfen. Deutschland hätte wie die Briten der Kommissi-onsmaßnahme mit dem Austritt aus der rechtsfernen EU begegnen müssen.
Die Währung der EU, der Euro, schadet vor allem dem wirtschaftlichen Wettbewerb aller Mitgliedstaaten. Ihr Wert ist für jeden Mitgliedstaat falsch. Die Preisstabilität durch Haus-halts-disziplin, Begrenzung der öffentlichen Defizits und der Staatsverschuldung nach Art. 126 AEUV wurde nie verwirklicht und wird seit langem ignoriert, auch von Deutschland . Die ‚Schuldenbremse‘ des Art. 109 Abs. 3 GG wird, wenn es nötig erscheint, ausgesetzt (KAS, Staatsschulden, S. 106 ff., 126 ff. 137 ff.).
Die EU kennt keine horizontale Gewaltenteilung. Die Vorschriften werden, wenn nicht von der Kommission allein, gemeinsam auf Vorschlag der Kommission durch den Rat der EU und das Parlament der EU gegeben. Der Europäischen Gerichtshof genügt mangels demokrati-scher Legitimation und wegen der Ernennung der ‚Richter‘ durch die Regierungen der Mit-gliedstaaten, die die Unabhängigkeit der Richter gefährdet, nicht den Kriterien eines Gerichts. Seine Judikate rechtfertigen keine unmittelbare Wirkung in den Vertragsstaaten.
Die EU nimmt auf die vertikale Gewaltenteilung im deutschen Bundesstaat keine Rücksicht, obwohl die „Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung und die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze“, also die Bundesstaatlichkeit, nach Art. 79 Abs. 3 GG auch durch eine Änderung des Grundgesetzes unzulässig ist. Die Souveränität der Länder, von deren Bürgerschaften in der „Bundesrepublik Deutschland“ die Staatsgewalt der Länder ausgeht , ist durch die ‚Integration‘ Deutschlands in die EU fast völlig verloren gegangen. Vertikale Gewaltenteilung stützt die Freiheit weitaus mehr als die horizontale. Die Bürger haben durch die großstaatliche, demokratiefeindliche Herrschaft von keinesfalls nur der Sache verpflichteten Bürokraten einen wesentlichen Teil ihrer politischen Freiheit eingebüßt. Die Regelungen zur Stärkung des Einflusses der Länder auf die Willensbildung des Bundes in Angelegenheiten der EU (Integrationsverantwortungs-gesetz vom 22. September 2009) können den Souveränitätsverlust der Länder mindern, aber nicht ausgleichen. Deutschland vermag seine Verfassung in der EU nicht zu verwirklichen. Es ist zum Austritt aus der EU verpflichtet, im Übrigen auch aus anderen Gründen .
Die EU ist als „Universaloligarchie“ eine große Gefahr für das Recht, vor der Kant gewarnt hat.
Schriften: K. A. Schachtschneider: Das Sittengesetz und die guten Sitten, Festschrift für Werner Thieme, 1993; Res publica res populi, Grundlegung einer Allgemeinen Republiklehre, 1994; Freiheit – Recht – Staat. Eine Aufsatzsammlung zum 65. Geburtstag, 2005; Freiheit in der Republik, 2007; Verfassungsrecht der Europäischen Union, Teil 2, Wirtschaftsverfassung mit Weltwirtschaftsordnung, 2010; Kants Verfassung der Freiheit. Das heutige Prinzip des Rechts, 2012; Souveränität, Grundlegung einer freiheitlichen Souveränitätslehre, 2015; Zum Menschenwürdesatz des Grundgesetzes, 2017, Homepage Downloads; auch Studienzentrum Weikersheim, Homepage, Publikationen, 2018; Staatsrecht in der Corona-Pandemie. Normal-zustand und Ausnahmezustand, 2024, Homepage, Abhandlungen; Nationalstaat und Souve-ränität, 2024. Weitere Schriften siehe meine Homepage: KASchachtschneider.de
Werner Mäder, Die Zerstörung des Nationalstaates aus dem Geist des Multikulturalismus, 2015; Grundrechte und Grundunrecht–Richterdämmerung –2021
Berlin, 11. Dezember 2024