Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs zum Europäischen Stabilitätsmechanismus

Der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) ist mit dem Vertrag über die Europäische Union (EUV) und dem Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) unvereinbar, ganz abgesehen von dessen Verfassungswidrigkeit in Deutschland und anderswo. Ich habe das in verschiedenen Schriften näher ausgeführt, nämlich:

Der letzte Akt des Euro-Abenteuers. Unrecht und Unvernunft des Europäischen Stabilitätsmechanismus, in: W. Hankel/W. Nölling/K. A. Schachtschneider/D. Spethmann/J. Starbatty, Das Euro-Abenteuer geht zu Ende. Wie die Währungsunion unsere Lebensgrundlagen zerstört, 1. und 2. Auflage 2011, S. 117 – 133, 142 – 187; Die Rechtswidrigkeit der Euro-Rettungspolitik. Ein Staatsstreich der politischen Klasse, 2011; Die Souveränität Deutschlands. Souverän ist, wer frei ist, 2012, S. 246 -341; Euro-Rettungspolitik – unvernünftig, rechtlos und staatswidrig, in: W. Lachmann (Hrsg.), Die Zukunft des Euro. Zerbruch der Gemeinschaftswährung oder Aufbruch zur politischen Union? 2012, S. 90 – 217. Mit Bruno Bandulet, Wilhelm Hankel, Wilhelm Nölling und Joachim Starbatty habe ich u.a. den ESM auf den Prüfstand des Bundesverfassungsgerichts gelegt. Die Verfassungsbeschwerde vom 29. Juni 2012 ist in meiner Homepage www. KASchachtschneider.de unter Downloads nachlesbar. Das Gericht hat in der Eilentscheidung vom 12. September 2012 der Beschwerde keine Erfolgswahrscheinlichkeit beigemessen, aber immerhin die Gewährleistungspflicht Deutschlands aus dem ESM-Vertrag strikt auf 190 Milliarden Euro begrenzt. Den Rechtsschutz hat das Bundesverfassungsgericht auf die Verteidigung der Haushaltsautonomie des Deutschen Bundestages, gestützt auf das Recht jedes Bürgers auf Demokratie aus Art. 38 Abs. 1 GG, begrenzt. Einen umfassenden Rechtschutz, zumal aus dem Recht auf Währungsstabilität aus der Eigentumsgewährleistung des Art. 14 Abs. 1 GG und aus dem Recht aus der politische Freiheit auf Achtung des unabänderlichen Kern des Grundgesetzes, also der auf Achtung der Verfassung, die mit uns geboren ist, also ein Recht auf Recht, konnten wir bisher nicht erreichen.

I Die wichtigsten vertrags- und zugleich verfassungsrechtlichen Argumente gegen den ESM seien noch einmal kurz angesprochen, weil dies für die Kritik des Urteils des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) notwendig ist:

1. Durch Beschluß vom 25. Mai 2011 (2011/199/EU) hat der Europäische Rat einen Absatz 3 an Art. 136 AEUV angefügt: „Die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist, können einen Stabilitätsmechanismus einrichten, der aktiviert wird, wenn dies unabdingbar ist, um die Stabilität des Euro-Währungsgebiets insgesamt zu wahren. Die Gewährung aller erforderlichen Finanzhilfen im Rahmen des Mechanismus wird strengen Auflagen unterliegen“. Diese Vertragsergänzung ist eigens als Grundlage für den ESM getroffen worden, im demokratierechtlich bedenklichen vereinfachten Vertragsänderungsverfahren des Art. 48 Abs. 6 EUV. Der neue Art. 136 Abs. 3 AEUV vermag die souveränitätsgebotene Struktur der Währungsunion jedoch rechtens nicht umzuwälzen. Diese Ermächtigung ist nicht nur viel zu wenig bestimmt (welches sollen etwa die „strengen Auflagen“ sein?), sie bedürfte vor allem der Zustimmung der Völker in Volksabstimmungen, weil sie die ESM-Mitglieder zu einen Bundesstaat verbindet und dafür die Hoheit über die Staatseinnahmen, aber auch die Hoheit über die Wirtschaftsordnung weitestgehend einschränkt, also Kernelemente der Souveränität überspielt. Der Beschluß hat sich nicht in den Grenzen der Ermächtigung der Europäischen Union gehalten, sondern ist ultra vires und damit nichtig.

2. Die Mitgliedstaaten, die den ESM-Vertrag geschlossen haben, sind für die Währungspolitik nach Art. 3 Abs. 1 lit c AEUV nicht mehr zuständig, weil der Europäischen Union die ausschließliche Zuständigkeit für die Währungspolitik der Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist, an sich gezogen hat. Das ist zwar eine grobe Souveränitätsverletzung, aber immerhin Vertrag. Der zitierte Art. 136 Abs. 3 AEUV relativiert diese ausschließliche Zuständigkeit. Erklärter Zweck des ESM und aller Begleitmaßnahmen ist die Wiederherstellung und Sicherung der Stabilität des Euro-Währungsgebietes. Die Euro-Rettungspolitik ist Währungspolitik.

3. Art. 125 Abs. 1 AEUV verbietet (argumentum aus Absatz 2) der Union und den Mitgliedstaaten, für die Verbindlichkeiten der öffentlichen Hand (im weitesten Sinne) eines anderen Mitgliedstaates zu „haften“ oder „für diese einzutreten“. Diese „No-bail-out-Klausel“ setzt strukturell auf die für die Stabilität der Währung notwendige Haushaltsdisziplin der Mitgliedstaaten. Kredite an einen Staat und Gewährleistungen solcher Kredite sind ein verbotenes „Eintreten“ für die Verbindlichkeiten eines Staatshaushalts, zumal wenn mit den Krediten Schulden (vornehmlich gegenüber Banken) beglichen werden. Der Kreditgeber trägt nicht anders als ein die Fremdschuld begleichender Bürge wie auch der Gewährleistungsträger das Ausfallrisiko. Aber bereits die Kreditierung zu einem nicht marktgerechten Zinssatz ist eine Finanzhilfe, wie sie Art. 125 AEUV im Interesse der Haushaltsdisziplin der Mitgliedstaaten verbietet. Die Technik der Haushaltshilfe ist sowohl nach dem Wortlaut als auch nach dem Sinn und Zweck für das Verbot des Art. 125 AEUV unerheblich. Verbote lassen sich rechtens nicht umgehen.

Finanzhilfen für Staatshaushalte sind ein Finanzausgleich, der die Konzeption der Währungsunion verläßt, auch wenn sie nur ultima ratio in finanzieller Notlage eines Staates gewährt werden. Ein Mitgliedstaat, der nicht mehr zahlungsfähig ist, weil seine Einnahmen die Ausgaben nicht mehr zu finanzieren vermögen und auch seine Kreditmöglichkeiten ausgeschöpft sind, nimmt die finanziellen Möglichkeiten anderer Mitglieder des Währungsverbundes in Anspruch. Einen solchen Finanzausgleich will Art. 125 AEUV ausschließen. Finanzausgleich ist typisches Element eines unitarischen Bundesstaates, der die Union nicht sein darf. Dafür bedürfte sie eines Volkes und einer dahingehenden Verfassung.

4. Der ESM übernimmt Bankfunktionen, ohne eine Bank zu sein, indem er unmittelbar Staatsanleihen erwirbt oder Kredite durch Staatsanleihen sichern läßt. Derartige Staatsfinanzierung ist der Europäischen Zentralbank durch Art. 123 Abs. 1 AEUV verboten. Wenn auch die Mittelbeschaffung des ESM eine andere ist als die der zur Geldschöpfung befugten EZB, nämlich Kreditaufnahme am Kapitalmarkt, gesichert durch die Kapitaleinlagen und Kapitalgewährleistungen der ESM-Mitglieder, so ist doch diese Staatsfinanzierung eine Umgehung des Verbots des Art. 123 AEUV.

5. Art. 126 AEUV macht im Interesse der Währungsstabilität Vorschriften über die Haushaltsdisziplin, mit gewisser Flexibilität nicht mehr als 3% jährliches Haushaltsdefizit und nicht mehr als 60% Staatsschulden, jeweils im Verhältnis zum BIP, und regelt ein (wenn auch illusionäres) Sanktionsverfahren gegen deren Mißachtung. Der ESM reicht Kredite an die hilfesuchenden Mitglieder nur aus, wenn diese im Memorandum of Understanding vertraglich festgelegte Auflagen erfüllen, d. h. ihre Wirtschaftsordnung im Sinne der Kreditgeber umwälzen. Das ist nicht nur ein schwerer Souveränitäts-, nämlich Demokratieverstoß, sondern ignoriert auch die vertraglichen Haushaltsvorgaben.

6. Die Währungsunion, wie sie der EUV und der AEUV geregelt haben, versucht (gerade noch) die „nationale Identität, die in ihren (sc. der Mitgliedstaaten) grundlegenden politischen und verfassungsmäßigen Strukturen … zum Ausdruck kommt“, zu wahren, welche Art. 4 Abs. 2 EUV garantiert. Diese nationale Identität ist allem voran die Staatsgewalt der Völker, die in Deutschland in Art. 20 Abs. 2 GG unabänderlich verankert ist. Sie ist die Freiheit der Bürger, deren Souveränität. Die eigene Verantwortung der Völker für ihren Staatshaushalt, die zur politischen Freiheit gehört, ist somit nicht politisch disponibles Element der Währungsunion, denen die Verbote der Staatsfinanzierung anderer Mitgliedstaaten folgen. Es gibt kein alles überragendes Rechtsprinzip, das es geböte, etwa um der Europäischen Union willen die Währungsunion zu erhalten. Das Scheitern der Währungseinheit wird zur Umgestaltung der Mitgliedstaaten genutzt, um schließlich die Union zu einem Staat mit einem einheitlichen Wirtschafts-, Währung- und Sozialsystem zu entwickeln. Die Währungsunion darf rechtens nur insoweit bestehen, als sie eine Stabilitätsgemeinschaft souveräner Staaten ist. Das hat das Bundesverfassungsgericht im Maastricht-Urteil von 1993 klargestellt und das haben der Euro-Beschluß von 1998 und das Eilurteil zum ESM vom September 2012 bestätigt. Das gebietet der Kern der Verfassungsidentität Deutschlands. Diese Stabilitätsgemeinschaft muß sich im Rahmen des Unionsvertragsrechts entfalten, also vor allem Art. 125 und Art 123 AEUV, die Staatsfinanzierungsverbote, respektieren. Sonst ist die Währungspolitik ultra vires und agiert mit „ausbrechenden Rechtsakten“. Die Rechtslage ist eindeutig. Visionen von einem postnationalen Europa sind keine Rechtsprinzipien, welche die Verträge zu überwinden erlauben. Im übrigen wird die Union zerstören, wer diesen Euro erhalten will.

II. Der Europäischen Gerichtshof hat in einem Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 267 AEUV auf Vorlage des Supreme Courts Irlands in einem Verfahren, das der irische Abgeordnete Thomas Pringle gegen das Government of Ireland angestrengt hat, in Plenarbesetzung im beschleunigten Verfahren (!), an dem sich zehn Regierungen der Euro-Mitgliedstaaten, einschließlich der Deutschlands, und die Regierung des Vereinigten Königreichs beteiligt haben, am 27. November 2012 zum Aktenzeichen C 370/12 entschieden, daß weder Art. 136 Abs. 3 EUV noch der ESM den Verträgen der Europäischen Union widersprechen. In den Absätzen 29 – 37 stellt der Gerichtshof richtig fest, daß er nach Art. 267 AEUV zur Klärung der Vertragsgemäßheit von Vertragsänderungen im vereinfachten Änderungsverfahren befugt sei, weil der Vertag diesem Vertragsänderungsverfahren Grenzen ziehe, in den Absätzen 38-44, daß die Vorlage zunächst der ersten Frage nicht verfristet, in den Absätzen 77–81, daß es auch für die unionsrechtlichen Fragen des ESM zuständig sei, in den Absätzen 82–91, daß bestimmte allgemeine Fragen des irischen Gerichts unzulässig seien.

1. In den Absätzen 45–70 prüft das Gericht, ob Art. 136 Abs. 3 AEUV in den Bereich der Währungs- oder Wirtschaftspolitik gehöre, weil die Währungspolitik ausschließliche Zuständigkeit der Union sei, die nur im ordentlichen Vertragsänderungsverfahren neu geordnet werden könne. Es kommt in den Absätzen 56, 57 und 60 zu einer erstaunlichen Erkenntnis:

„Was zum einen das mit diesem Mechanismus verfolgte Ziel der Wahrung der Stabilität des Euro-Währungsgebiets insgesamt angeht, unterscheidet es sich klar vom Ziel der Gewährleistung der Preisstabilität, dem vorrangigen Ziel der Währungspolitik der Union. Auch wenn nämlich die Stabilität des Euro-Währungsgebiets Auswirkungen auf die Stabilität der in diesem Gebiet verwendeten Währung haben mag, kann eine wirtschaftspolitische Maßnahme nicht allein deshalb einer währungspolitischen Maßnahme gleichgestellt werden, weil sie mittelbare Auswirkungen auf die Stabilität des Euro haben kann“. Nur allgemein ist das richtig, weil sonst die Mitgliedstaaten keine Wirtschaftspolitik mehr betreiben könnten. „Die Gewährung einer Finanzhilfe für einen Mitgliedstaat gehört aber offenkundig nicht zur Währungspolitik“. „Aus den Zielen des in Art. 1 des Beschlusses 2011/199 ins Auge gefassten Stabilitätsmechanismus, den zu ihrer Erreichung vorgesehenen Mitteln und der engen Verbindung zwischen diesem Mechanismus und den Bestimmungen des AEU-Vertrags über die Wirtschaftspolitik sowie dem Regelungsrahmen für die Verstärkung der wirtschaftspolitischen Steuerung der Union ist zu schließen, dass die Einrichtung dieses Mechanismus zum Bereich der Wirtschaftspolitik gehört“. Das Gericht läßt sich nicht dadurch irritieren, daß der Europäische Rat vor seinem Änderungsbeschluß die EZB angehört hat, wie es Art. 48 Abs. 6 Unterabs. 2 S. 2 EUV nur vorschreibt, wenn es um institutionelle Änderungen im Währungsbereich geht, weil das aus „eigener Initiative“ geschehen sei, nicht einer Pflicht folgend (61[1]). Das Ergebnis des Gerichts ist in den Absätzen 68, 69, daß die Mitgliedstaaten zuständig seien, einen Stabilisierungsmechanismus wie den des ESM zu vereinbaren, wenn sie sich nicht über das Unionsrecht hinwegsetzen. Im übrigen würden die Zuständigkeiten der Union nicht ausgedehnt, obwohl die Kommission und der Gerichtshof selbst in das ESM-Verfahren einbezogen würden (71 – 76). Art. 136 Abs. 3 AEUV würde die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten, einen Stabilitätsmechanismus einzurichten, nur bestätigen, nicht aber begründen (72 f., 184).

Richtig ist, daß die Regelungen der Währungspolitik in Art. 127 – 133 AEUV im engeren Sinne durch Art. 136 Abs. 3 AEUV nicht geändert werden und daß diese Vorschrift und der durch sie in das Vertragssystem integrierte ESM auch Wirtschaftspolitik sind, die insbesondere Art. 123 und Art. 125 AEUV (substantiell) umgestalten. Aber sie sind dennoch wesentlich Währungspolitik. Die Einheit der Währungs- und der Wirtschaftspolitik erweisen insbesondere die Absätze 1 und 2 des Art. 136 AEUV. Die Finanzhilfen des Stabilitätsmechanismus bezwecken nach Art. 136 Abs. 3 AEUV, die „Stabilität des Euro-Währungsgebiets insgesamt zu wahren“. Der Euro-Rettungspolitik geht es ausschließlich um die Verteidigung des Euro, der Währung der beteiligten Mitgliedstaaten. Die Einheitswährung hat wirtschaftliche Voraussetzungen, die das Unionsrecht zum Teil in dem Kapitel über die Wirtschaftspolitik regelt. Diese Voraussetzungen, die vermeidliche Konvergenz im Verbund mit der Vereinbarung der Haushaltsdisziplin, haben das Scheitern der Währungseinheit (erwartungsgemäß) nicht verhindert. Deswegen wird versucht, tragfähige Voraussetzungen einer einheitlichen Währung zu schaffen, gewissermaßen als Ersatz eines optimalen Währungsraums das Einstehen der starken für die schwachen Volkswirtschaften. Das ist nichts als Währungspolitik, die nun einmal immer zugleich Wirtschaftspolitik, ja die wichtigste Wirtschaftspolitik ist. Angesichts der bereits technisch fragwürdigen (ohnehin souveränitätswidrigen) ausschließlichen Zuweisung der Währungspolitik an die Union, muß die Abgrenzung der Zuständigkeiten wie auch sonst am dem Schwerpunkt und dem wesentlichen Zweck der Regelung ausgerichtet werden. Das ist die Rettung der Währung. Die wirtschaftlichen, haushaltlichen Maßnahmen sind ein Mittel zu diesem Zweck. Sie sollen gerade nicht eine dauerhafte Finanzierung fremder Staatshaushalte sein und werden (obwohl das so werden wird), sondern vorübergehende Nothilfe auf Kredit. Also geht es um Währungspolitik. Das Gericht hat die gängigen Interpretationsmethoden, die es sonst selbst zu nutzen pflegt, wenn es um die Ausweitung der Zuständigkeiten der Union geht, etwa die Dogmen des effet utile und der implied powers, mit denen es beispielsweise die ausschließliche Zuständigkeit der Union für die Handelspolitik (vertragswidrig) erobert hat, außer Acht gelassen. Es judiziert nur seinem (verfassungswidrigen) Zweck gemäß, die stetige Vertiefung der Integration.

2. Auch für den ESM selbst sieht der Gerichtshof keine Zuständigkeitshindernisse in Art. 3 Abs. 1 lit. c EUV (92–98), auch Art. 3 Abs. 2 EUV, welcher der Union die ausschließliche Zuständigkeit für den Abschluß internationaler Übereinkünfte einräumt, wenn dieser u. a. notwendig ist, „soweit er gemeinsame Regeln beeinträchtigen oder deren Tragweite verändern könnte“ (99–107), stehe nicht etwa wegen der Nothilfebefugnis des Art. 122 Abs. 2 AEUV dem ESM im Wege. Eine Koordinierung der Wirtschaftspolitik, welche nach Art. 121 AEUV Sache der Union sei, sieht der Gerichtshof im ESM nicht, obwohl dieser die Finanzhilfen von strengen Auflagen mit einem makroökonomischen Anpassungsprogramm abhängig mache (108-114). „Die vorgesehenen Auflagen stellen kein Instrument zur Koordinierung der Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten dar, sondern sollen die Vereinbarkeit der Tätigkeiten des ESM insbesondere mit Art. 125 AEUV und den von der Union getroffenen Koordinierungsmaßnahmen gewährleisten“, „weil die an eine Stabilitätshilfe geknüpften Bedingungen `in voller Übereinstimmung mit den im [AEU-Vertrag] vorgesehenen Maßnahmen der wirtschaftspolitischen Koordinierung` stehen müssen“ (112). Die Auflagen müßten auch in „voller Übereinstimmung mit den etwaigen Empfehlungen des Rates nach Art. 126 Abs. 7 und 8 AEUV stehen (113). Darum sei der ESM mit Art. 126 AEUV vereinbar. Diesen Argumenten steht man fassungslos gegenüber. Die Auflagen gehen weit über Koordinierungsmaßnahmen hinaus. Sie widersprechen diesen insoweit nicht, als sie eventuelle Reglementierungen der betroffenen Mitgliedstaaten verschärfen, aber das Koordinierungsverfahren dient auch dem Schutz der Mitgliedstaaten vor abgenötigten stärkeren Eingriffen in ihre Wirtschaftshoheit und damit Souveränität. Nach Art. 136 Abs. 1 lit b AEUV kann der Rat (nicht der ESM) für die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist, „im Hinblick auf das reibungslose Funktionieren der Wirtschafts- und Währungsunion“ Maßnahmen erlassen, um (in gewissen Grenzen) „für diese Staaten Grundzüge der Wirtschaftspolitik auszuarbeiten“. Mit dieser besonders intensiven Koordinierungsbefugnis kollidiert die Auflagenbefugnis des ESM allemal, weil diese Grundzüge für alle Euro-Länder gelten müssen; denn diese Grundzüge sind Koordinierungen im Sinne des Art. 121 AEUV und „Maßnahmen der wirtschaftspolitischen Koordinierung“ im Sinne des Art. 13 Abs. 3 Unterabs. 2 des ESM-Vertrages. Auch in die Befugnis des Rates aus Art. 122 Abs. 1 AEUV, „im Geist der Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten über die Wirtschaftslage angemessene Maßnahmen zu beschließen, insbesondere falls gravierende Schwierigkeiten in der Versorgung mit bestimmten Waren, vor allem im Energiebereich, auftreten“, werde nicht berührt. Weil „Art. 122 Abs. 1 AEUV keine geeignete Rechtsgrundlage für einen etwaigen finanziellen Beistand der Union für Mitgliedstaaten darstellt, die schwerwiegende Finanzierungsprobleme haben oder denen solche Probleme drohen, greift die Einrichtung eines Stabilitätsmechanismus wie des ESM nicht in die Befugnisse ein, die diese Bestimmung dem Rat verleiht“ (115 f.). Die Unterlassungspflicht, aus Solidarität mehr zu tun als diese Vorschrift nach dem Prinzip der begrenzten Ermächtigung ermöglicht, die sich aus den weiteren Vorschriften des Vertrages, zumal aus dem Bail-out-Verbot ergibt, und damit das Prinzip der ganzheitlichen Interpretation ignoriert das Gericht bei diesem Argument. Richtig erkennt es im Gegensatz zur Bundesregierung über lange Zeit, daß Art. 122 Abs. 2 AEUV, eine begrenzte Notstandsklausel für Naturkatastrophen oder ähnliche außergewöhnliche Ereignisse, den Mitgliedstaaten keine Befugnis zur finanziellen Hilfe einräumt (117-122). Der Wortlaut ist allzu eindeutig, weil er nur die Union befugt.

3. Art. 123 AEUV erkennt der Gerichtshof nicht als Verbot der Finanzhilfen durch den ESM, weil diese Vorschrift sich nur an die EZB und das ESZB richte. Sie werde auch nicht durch den ESM umgangen (123–128). Das durchgehende Verbot der Finanzierung von Mitgliedstaaten durch Mitgliedstaaten, welche durch den ESM organisiert wird, vermag das Gericht dem Vertragswerk nicht zu entnehmen.

4. Schließlich weist der Gerichtshof in den Absätzen 129–147 auch die Anwendung der „Nichtbeistandsklausel“ des Art. 125 AEUV auf den ESM-Vertrag zurück, der spektakulärste Teil des Judikats. Diese Vorschrift untersage nicht „jede Form der finanziellen Unterstützung eines Mitgliedstaates“, wie Art. 122 Abs. 2 AEUV und Art. 123 AEUV, die nicht als Ausnahmevorschriften deklariert seien, erweisen würden, zumal der Wortlaut des Art. 123 AEUV strenger als der des Art. 125 AEUV sei (130-132). Der Wortlaut verbiete somit Hilfen der einen für die anderen Mitgliedstaaten nicht. Der Gerichtshof prüft aber auch den Zweck der Vorschrift (133-145). Sie solle eine „solide Haushaltsdisziplin sicherstellen“ und im Interesse der finanziellen Stabilität der Unionswährung deren „Verschuldung der Marktlogik“ unterwerfen (135). Der finanzielle Beistand dürfte somit den Anreiz des Empfängermitgliedstaates, eine solide Haushaltspolitik zu betreiben, nicht beeinträchtigen (136). „Dagegen verbietet es Art. 125 AEUV nicht, dass ein oder mehrere Mitgliedstaaten einem Mitgliedstaat, der für seine eigenen Verbindlichkeiten gegenüber seinen Gläubigern haftbar bleibt, eine Finanzhilfe gewähren, vorausgesetzt, die daran geknüpften Auflagen sind geeignet, ihn zu einer soliden Haushaltspolitik zu bewegen“ (137). Der ESM würde nicht „Bürge für die Schulden des Empfängermitgliedstaates“, der seinen Gläubigern für seine finanziellen Verbindlichkeiten haftbar bleibe (138). Die Finanzhilfen würden vom ESM in Form von Krediten oder Kreditlinien gewährt und müßten dem ESM zurückgezahlt werden, also neue Schulden der Empfänger begründen (139). Der Ankauf von Anleihen am Primärmarkt sei Krediten „vergleichbar“ (140). Er führe nicht zur Haftung des ESM für die Anleihen, genausowenig wie der Ankauf am Sekundärmarkt (141). „Eine Stabilitätshilfe“ dürfe auch nur „gewährt werden, wenn eine solche Hilfe zur Wahrung der Finanzstabilität des Euro-Währungsgebiets insgesamt und seiner Mitgliedstaaten unabdingbar ist, und ihre Gewährung unterliegt strengen, dem gewählten Finanzhilfeinstrument angemessenen Auflagen“ (142), welche „gewährleisten sollen, dass die Mitgliedstaaten eine solide Haushaltspolitik verfolgen“ (143). „Der säumige Mitgliedstaat des ESM“ bleibe „aber zur Einzahlung seines Kapitalanteils verpflichtet. Somit stehen die übrigen Mitglieder des ESM nicht für die Schuld des säumigen Mitglieds ein“ (145). Quintessens des Gerichtshofs: „Daher haften ein Mechanismus wie der ESM und die daran teilnehmenden Mitgliedstaaten nicht für die Verbindlichkeiten des Empfängermitgliedstaats einer Stabilitätshilfe und treten auch nicht im Sinne von Art. 125 AEUV für sie ein“(146).

Das Bail-out-Verbot auf Haftungsübernahmen, gar auf eine privative Schuldübernahme, zu reduzieren, widerspricht nicht nur der ökonomisch unbestrittenen Zweck des Verbotes, die Staatshaushalte dem nationalen Schicksal, also der eigenen Finanzierung durch Abgaben, aber auch Kredite zu überlassen, weil das allein eine solide Haushaltsführung gewährleistet, sondern auch dem Wortlaut der Vorschrift. Das Verbot des „Eintretens“ für die Staatsschulden neben dem Haftungsverbot, das selbst schon weit ist, hat keinen anderen Gehalt, als alle Formen der Schuldenhilfe auszuschließen. Die Notklausel des Art. 122 Abs. 2 AEUV ist von ihrem Gegenstand her eine Ausnahmevorschrift und bestätigt durch nichts eine Regel, etwa das Recht zur gegenseitigen Finanzhilfe. Das Staatsfinanzierungsverbot des Art. 123 AEUV für das ESZB und die EZB ist expliziert, weil das ESZB und die EZB unabhängig von dem Mitgliedstaaten und den übrigen Organen der Union sind und monetäre Maßnahmen der Zentralbanken die Möglichkeit der Staatsfinanzierung in sich bergen. Mit den Krediten des ESM, für welche dessen Mitglieder mit ihren Einlagen haften, werden die Schulden der Empfängerstaaten bei den Gläubigern abgelöst, geradezu unmittelbar. Es macht wirtschaftlich keinen Unterschied aus, ob ein Dritter eine Schuld privativ oder kumulativ übernimmt, ob er bürgt oder ob er die Schuld begleicht. Die letztere Form ist für Schuldner und Gläubiger besonders hilfreich, weil sie die Schuld tilgt. Ob der Dritte unmittelbar an den Gläubiger zahlt oder dem Schuldner die Mittel gibt, damit dieser zahlt, macht keinen wirtschaftlichen Unterschied aus. Allein schon das Verbot, das Haushaltsdefizit über 3% des BIP und die Staatsschulden über 60% des BIP anwachsen zu lassen, das wesentlicher Bestandteil der Wirtschafts- und Währungsunion ist (Art. 126 Abs. 2 AEUV in Verbindung mit dem Protokoll über das Verfahren bei einem übermäßigen Defizit) beweist, daß die Finanzhilfe, welche Defizit und Schulden weiter erhöhen, jedenfalls nicht mindern, vertragswidrig sind. Die wirtschaftspolitischen Auflagen, durch die das Gericht die Finanzhilfen im System der Wirtschafts- und Währungsunion gerechtfertigt sieht, erreichen nicht nur ökonomisch in keiner Weise die disziplinierende Wirkung der Finanzmärkte, schon weil sie aus wirtschaftlichen (Rezession) und noch mehr politischen (Streiks, Aufruhr) Gründen nur sehr eingeschränkt verwirklicht werden (können), sie sind auch grob rechtswidrig, weil sie demokratiewidrig abgepreßt sind und die Souveränität der Völker mit Füßen treten.

Der Gerichtshof vermeidet tunlichst die systematische Betrachtung der Wirtschafts- und Währungsunion, welche die Haltlosigkeit seiner reduzierten Argumentation offenbart hätte. Typisch ist, daß er, wo jeder neutrale Jurist eine Ausnahme erkennt, eine Regelbestätigung konstruiert, weil er den systemischen Standort der Vorschriften, hier Art. 122 Abs. 2 und Art. 123 AEUV nicht ins Auge faßt. Seine Erkenntnismethode spottet jeder Beschreibung. Das Ergebnis steht von vornherein fest, so daß die Vertragsvorschriften sich fügen müssen. Das erleichtert er sich dadurch, daß er sie isoliert interpretiert und zudem auf einen mit dem Wortlaut schwerlich vereinbaren Gehalt reduziert.

5. Auch der in Art. 4 Abs. 3 EUV verankerte Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten sei nicht verletzt (148-152), weil der ESM „die Bestimmungen des AEU-Vertrags über die Wirtschafts- und Währungspolitik nicht berührt“ und „der ESM sich bei der Erfüllung seiner Aufgaben an das Unionsrecht halten wird“. Jede Vertrags- und allemal die Souveränitätsverletzung ist als Freiheitsverletzung ein schwerer Loyalitätsbruch.

6. Die vielfältigen Aufgaben der Kommission, der EZB und des Gerichtshofs, die der ESM diesen übertrage, seien mit Art. 13 Abs. 2 EUV, der den Organen der Union bestimmte Befugnisse überträgt und deren Wahrnehmung an Verfahren und Bedingungen binde und Zielen verpflichte, vereinbar (153-182), „sofern diese Aufgaben die den Organen durch den EU-Vertrag und den AEU-Vertrag übertragenen Befugnisse nicht verfälschen“ (158), zumal die Kommission „nach Art. 17 Abs. 1 EUV“ „die allgemeinen Interessen der Union [fördert]“ und „die Anwendung des Unionsrechts [überwacht]“ und das im Rahmen des ESM bewerkstelligen könne. Die EZB habe die Aufgabe, die „allgemeine Wirtschaftspolitik“ in der Union zu unterstützen und sei durch „Art. 6.2 der Satzung des ESZB“ befugt, „sich an internationalen Währungseinrichtungen zu beteiligen“ (165). Eine verstärkte Zusammenarbeit habe für den ESM nicht begründet werden müssen (166-169). Die Streitigkeiten, die Art. 37 Abs. 3 ESM-Vertrag dem Europäischen Gerichtshof zur Entscheidung zuweise, seien Streitigkeiten im Sinne des Art. 273 AEUV, die der Gerichtshof ohnehin zu entscheiden habe (170-177). Der ESM sei dem allgemeinen Grundsatz eines effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes nicht entzogen. Der Anwendungsbereich der Charta der Grundrechte bleibe unberührt (178 -181). Soweit, so ungenügend, wenn auch im Einzelnen nicht immer nur falsch.

III Das ESM-Urteil des Europäischen Gerichtshofs ist kein Richterspruch lege artis. Es ist Apologie der Eurorettungspolitik. Nichts anderes war von diesem „Motor der Integration“ zu erwarten. Dafür ist dieses Organ geschaffen. Es soll der Öffentlichkeit einen Rechtsstaat vortäuschen. Platon: „Die höchste Ungerechtigkeit ist, daß man gerecht scheine, ohne es zu sein“[2]. Seit Jahrzehnten beteiligt sich der Gerichtshof an dem Staatsstreich, der die Mitgliedstaaten zu einem Unionsstaat integrieren soll, ohne daß die Völker um ihre Zustimmung gefragt werden, gegen die Demokratie, gegen die Souveränität, gegen die Freiheit. Erinnert sei an die weichenstellende Dekretierung der unmittelbaren Anwendbarkeit des Gemeinschaftsrechts, zumal der Grundfreiheiten, mit Vorrang selbst vor dem Verfassungsrecht der Mitgliedstaaten bereits 1964, eindeutig gegen den völkerrechtlichen Status der Verträge. Bereits dadurch hat das Gericht Völkerrecht in Staatsrecht verwandelt und der Sache nach den Gemeinschaftsstaat geschaffen, gegen die Verträge. Das hat zu der verhängnisvollen Deregulierung geführt, welche den Mitgliedstaaten den Schutz vor überlegenen Wettbewerbern genommen hat und jetzt die Finanzhilfen erfordert, weil die Währungseinheit auch den letzten und wichtigsten Schutz nimmt, die Abwertung. Das Bundesverfassungsgericht hat stetig auf die Souveränität Deutschlands hingewiesen, aber diesen Souveränitätsvorbehalt niemals wirklich durchgesetzt.

Ein Gericht, das den Namen verdient, bedarf starker demokratischer Legitimation, um ein Organ des Volkes zu sein, das dessen Staatsgewalt ausübt. Dem Europäischen Gerichtshof fehlt diese Legitimation gänzlich. Aus jedem Mitgliedstaat kommt ein Richter, der allenfalls von seinem Staat legitimiert ist. Die Richter werden im Einvernehmen der Regierungen ernannt, also gegen Gewaltenteilung ausgerechnet von den Organen, deren Politik sie kontrollieren sollen. Sie werden mit attraktivem Gehalt für sechs Jahre mit der Möglichkeit der erneuten Berufung ernannt und werden dadurch abhängig. Die Verteidigung des Rechts ist von einem solchen Gremium nicht zu erwarten.

Der Kampf vor den Gerichten um das Recht war bisher nur sehr begrenzt hilfreich. Er wird das angesichts des rapiden Verfalls des Rechtsstaates vor allem durch die europäische Integration auch weiterhin nicht sein. Auch von Bundesverfassungsgericht ist kein wirklicher Rechtsschutz zu erwarten. Dessen Richter gehören zur politischen Klasse und sind linientreu, nicht anders als die meisten Medien, die von den Profiteuren des internationalistischen Systems abhängig sind. Das heißt nicht, daß die Erinnerung an das Recht aufgegeben werden darf. Aber Chancen bietet nur die Politik. Aber von der gegenwärtigen politischen Klasse ist keine Umkehr zu erhoffen, jedenfalls nicht vor dem gänzlichen Zusammenbruch ihrer Integrationsillusionen. Den werden die Gesetze der Ökonomie unweigerlich herbeiführen. Der Euro hatte nie eine Chance und wird nie eine haben. Aber man kann sein endgültiges Ende lange hinauszögern, wie das die Europäische Zentralbank betreibt. Die Schäden werden unermeßlich sein. Die Bürger müssen anders wählen, nicht erst, wenn das freiheitliche Gemeinwesen ruiniert ist. Dann wird es, ist zu befürchten, in falsche Hände geraten. Aber neue Kräfte brauchen für eine Politik der praktischen Vernunft auch die richtigen Konzepte. Ein solches legt Wilhelm Hankel vor. Der Verbund nationalen Währungen, welche den wirtschaftlichen Gegebenheiten der Staaten gerecht werden können, mit einem nicht abwertbaren Euro, welcher die Wertaufbewahrung ermöglicht und der Kapitalflucht entgegenwirkt, ist genial. Freilich kann das Konzept nur durch eine Vertragsrevision umgesetzt werden. Aber deren bedarf Europa ohnehin. Hankels Währungskonzept wäre ein zentraler Baustein eines europäischen Europas, eines Europas der Staaten, wie es dem großen Staatsmann General de Gaulle vorschwebte.

[1] Die Zahlen in den Klammern sind Hinweise auf die Absätze der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs.
[2] Politeia/Der Staat, in: G. Eigler (Hrsg.) Werke in acht Bänden, griechisch und deutsch, Bd. 4, Übersetzung von F. Schleiermacher und H. Müller, bearbeitet von D. Kurz, 2. Aufl. 1990, 361a.